Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
befreite sich aus Clementines Griff. »Mir geht es gut und ich glaube, die Ernte muss eingebracht werden.« Sie zog die Brauen zusammen. »Ich kann mich daran erinnern, dass die Mägde darüber gesprochen haben.« Sie machte eine kurze Pause. »Bist du nicht auch deshalb hier?« Sie sah die Schwester fragend an, bis diese nickte.
»Ja«, gab Clementine – immer noch argwöhnisch – zurück. »Niemand hat auf Thomas’ Feldern Wintergetreide gesät. Also gibt es dort auch nichts zu ernten. Wenn wir nicht verhungern und für die Aussaat im September Saatkorn von seinem Vater wollen, müssen auch wir bei der Ernte mit anpacken.« Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie hinzusetzte: »Eigentlich hat er uns gerufen, um nach den Kranken zu sehen. Aber außer Gebeten können wir nicht viel für sie tun.« Sie wischte sich eine Strähne aus der Stirn. »Deshalb helfen wir so gut wie möglich dabei, das Korn einzubringen, bevor der Regen noch mehr Schaden anrichtet.«
Brigitta bemerkte den Schatten, der über Clementines Gesicht huschte. »Bereust du, aus dem Kloster weggegangen zu sein?«, fragte sie, ihre eigenen Sorgen für kurze Zeit vergessend, und betrachtete das zarte Gesicht der Schwester, deren Hand zum Bauch zuckte.
»Nein«, erwiderte diese nach einigen bedächtigen Atemzügen, die Brigittas Aufmerksamkeit auf ihre volle Brust zogen. »Aber manchmal frage ich mich, ob unser Kind hier eine Zukunft hat. Was, wenn die Ernte verdirbt und der Winter so hart wird wie der letzte?« Ihre Unterlippe bebte. »Und was wird geschehen, wenn Thomas’ Vater stirbt und sein Bruder alles erbt?« Sie schlug die Augen nieder und umklammerte das Kruzifix an ihrem Hals. »Es ist alles so anders als in der Stadt.« Versonnen strich sie mit dem Zeigefinger über das glatte Holz des geschnitzten Kreuzes.
Einige Zeit lang schwiegen beide, bevor Clementine die Hand sinken ließ und den Kopf hob. »Gott wird für uns sorgen«, murmelte sie schließlich nach einigen Momenten und straffte die Schultern, wie um sich selbst von dem Wahrheitsgehalt ihrer Worte zu überzeugen. »Seine Wege mögen verschlungen und dem menschlichen Auge verborgen sein, aber alles, was er für uns vorsieht, hat seinen Sinn.«
Wenn sie nur recht hatte!, dachte Brigitta und folgte ihr hinaus ins Freie, wo die beiden jungen Frauen von einer Wand aus flimmernder Hitze empfangen wurden.
Kapitel 38
Burg Katzenstein, 20. Juli 1368
Erstaunt darüber, dass er noch im Sattel saß, vergaß Wulf Steinhauer, seinen Wallach rechtzeitig zu wenden, sodass dieser um ein Haar mit dem wartenden Bruno von Hürben zusammengestoßen wäre.
»Ruhig!«, prustete er und presste die Knie fester in die Seiten des schwitzenden Tieres, das mit einem Schnauben ausschlug. Unter größten Schwierigkeiten brachte er den Falben zum Stehen und befreite den Lanzenschaft aus dem an seinem Plattenpanzer befestigten Haken, auf dem dieser trotz des erfolgreich geführten Stoßes immer noch auflag. Heftig atmend drehte er sich im Sattel um und blickte fassungslos auf die regungslos am Boden liegende Gestalt Friko von Oettingens, dem er mit einem gewaltigen Stoß den Schild zertrümmert hatte.
»Gut gemacht«, lobte Waffenmeister Bolko, der ihm kräftig auf die Schulter drosch, kaum, dass er sich von den Steigbügeln befreit und aus dem Sattel hatte fallen lassen.
Ich fühle mich wie ein Felsbrocken!, dachte der junge Mann und warf die bunt bemalte Lanze auf den Rasen, bevor er sich den schweren Helm vom Kopf riss und dankbar die Kelle Wasser annahm, die einer der Pagen ihm reichte. Gierig trank er das wunderbar kühle Nass, das ihm am Kinn hinab in den Halsausschnitt seiner Rüstung troff.
Nachdem er von oben bis unten in einem Panzer aus Eisenplatten steckte, hatte er die Bewegungsfreiheit eines auf dem Rücken liegenden Insektes, und er war froh, als ihn zwei der Knaben von der Last befreiten. Da er in der Sommerhitze heftig schwitzte, klebten ihm Hemd und Beinlinge nass am Körper, doch der in ihm brennende Triumph vertrieb alles körperliche Unbehagen.
»Ich wusste, dass du es in dir hast«, trompetete Bolko, der zwei Knechten den Befehl gab, dem sich mühsam aufrappelnden Friko vom Kampfplatz zu helfen. Während Bruno von Hürben und Johann von Falkenstein sich bereit machten, gegeneinander anzureiten, zog er Wulf in den Schatten des Zeltes, in dem die hölzernen Übungswaffen und Attrappen aufbewahrt wurden.
Dort drückte er ihn auf einen der mit Leder bespannten Feldschemel, setzte
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