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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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ausdrückte, und quetschte sich auf eine der Bänke.
    Ohne ihm Beachtung zu schenken fuhr der kahlköpfige Mönch fort, die übrigen Schüler wie einen Chor zu dirigieren. Gelangweilt griff Wulf nach der Wachstafel vor sich und spielte mit dem Elfenbeingriffel, bevor auch er in den Singsang mit einfiel. Anders als vermutet war der Pfarrer dabei, die Knappen sämtliche Aktivverbformen herunterbeten zu lassen, und mehr als einmal war seine Stimme die einzige, welche die Konjugation korrekt zu Ende brachte. »Laudabamus, laudabatis, laudabant«, stöhnte der greise Kirchenmann, als Friko von Oettingen wieder einmal patzte. Wie konnte man nur so begriffsstutzig sein?, dachte Wulf müde und begann die Umrisse des Kirchturmes nachzuzeichnen, den er in Ulrich von Ensingens Musterbuch gesehen hatte. Während die anderen vom Imperfekt zum Futur übergingen, ließ er ihr Geleier über sich hinwegplätschern und versuchte, die himmelstürmende Eleganz der Struktur nachzuvollziehen. Zerklüftet und durchbrochen nahmen die ersten drei Stockwerke in dem Wachs Gestalt an, doch sosehr er sich auch bemühte, es wollte ihm nicht gelingen, dem Turm einen gefälligen Abschluss zu verleihen. Als er aus dem Augenwinkel bemerkte, dass Pater Ignatius sich auf ihn zubewegte, hielt er die Wachstafel über die Flamme der auf dem Pult stehenden Kerze und strahlte den Mönch unschuldig an.
    »Wulf, mein Lieber«, schnarrte der Lehrer mit seiner von Alter und Gebrauch kratzig gewordenen Stimme. »Würdest du uns diese Textstelle vorlesen?« Er platzierte ein eng beschriebenes Stück Pergament vor Wulf, das dieser ohne Schwierigkeiten entzifferte.
    »De Civitate Dei«, begann er. »Vom Gottesstaat.« Mal wieder Augustinus, dachte er mit einem innerlichen Stöhnen, bevor er fortfuhr. »Gloriosissimam civitatem Dei sive in hoc temporum cursu, cum inter impios peregrinator ex fide vivens …« Er schaltete seinen Geist aus, während er den Text weiter vortrug. Selbst die Übersetzung kannte Wulf im Schlaf, wohingegen die anderen Knappen offensichtlich darum kämpften, den Anschluss nicht zu verlieren. Immer weiter folgten seine Augen der prächtig illustrierten Handschrift, von der er sich schon mehr als einmal gefragt hatte, wie sie in die Hand dieses einfachen Dorfpredigers gelangt war.
    Als Pater Ignatius die jungen Männer zwei Stunden später endlich wieder in die Freiheit entließ, bedachte Friko von Oettingen Wulf mit einem solch hasserfüllten Blick, dass diesem ein kalter Schauer den Rücken hinablief. Wie es aussah, würde die Niederlage, die er dem Oettinger zugefügt hatte, ein Nachspiel haben, dessen Charakter er sich nur allzu gut vorstellen konnte. Hatte er sich doch bereits mehr als einmal über die mutwillige Zerstörung seines Sattel- und Zaumzeuges gewundert, ganz zu schweigen von den Ratten, Mäusen oder gar der Kreuzotter, die er schon zwischen seinen Decken gefunden hatte. Er schickte dem sich entfernenden Rivalen eine Grimasse hinterher, die dafür sorgte, dass der rothaarige Johann von Falkenstein in prustendes Gelächter ausbrach.
    »Ob ihr beide euch wohl jemals vertragen werdet?«, fragte er, während er mit Wulf und Bruno in die erbarmungslos stechende Nachmittagssonne trat.
    Wulf zuckte die Schultern. Vermutlich nicht, dachte er gleichgültig. »Wer weiß«, erwiderte er lahm und verabschiedete sich von den beiden Freunden, um sein Schwert zu holen und den anstrengenden Tag damit abzuschließen, sich von Bolko grün und blau schlagen zu lassen. Bereits jetzt schmerzte ihm jeder Muskel im Leib, aber alles war besser als sich damit aufzureiben, die Stunden zu zählen, die noch vergehen mussten, bis Wulf von Katzenstein endlich einen Mann losschicken konnte. Eine Woche musste er noch hinter sich bringen. Eine Woche, in der er keinen Atemzug würde tun können, ohne sich die schlimmsten Dinge auszumalen. Als ihm die Furcht um die Geliebte – wie jedes Mal, wenn er an sie dachte – die Glieder lähmen wollte, schob er den Gedanken heftig beiseite und schnallte sich den Schwertgürtel um. Er musste sich auf etwas anderes konzentrieren! Dann würde er diese ihm von Gott auferlegte Prüfung bestehen und sich würdig erweisen. Niedergedrückt und lustlos schleppte er sich zurück auf den Kampfplatz, wo Bolko ihn bereits erwartete.

Kapitel 39

    Burg Katzenstein, Ende Juli 1368

    Acht Tage später warf sich Adelheid von Oettingen mit einem verstohlenen Blick zurück zum Palas ihren Reitumhang über die Schultern und eilte über

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