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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Bewahre ihn vor den Dämonen der Hölle und dem Zorn des Teufels. Halte deine Hand über ihn und führe ihn ins Licht.
    Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und rann ihre Schläfe hinab, bis sie in ihrem offenen Haar versickerte. Amen. Ein wenig leichter ums Herz begann sie daraufhin, ein ums andere Mal das Pater Noster in Gedanken aufzusagen, und es dauerte nicht lange, bis die Erschöpfung sie überwältigte und sie wieder in einen unruhigen Schlaf fiel.
    Als sie am darauffolgenden Morgen von einem auf ihrem Gesicht spielenden Sonnenstrahl geweckt wurde, erschienen ihr die Gespenster der Nacht fern und weitaus weniger Furcht einflößend als in der Dunkelheit. Nur vage schimmerte ein Nachbild des Grauens durch den Schutzwall, den ihr Bewusstsein im Schlaf errichtet hatte, sodass sie sich erstaunlich frisch und ausgeruht fühlte. Und hungrig. Gähnend richtete sie sich in den Kissen auf und ließ erstaunt den Blick durch die leere Kammer schweifen. Wie spät war es? Und warum hatte sie niemand geweckt?
    Sie wollte gerade die nackten Beine aus dem Bett schwingen, als sich die Tür des lang gestreckten Raumes öffnete und Clementine mit einem Frühstück erschien. Wie die anderen Bäuerinnen trug auch sie inzwischen ein einfaches blau-graues Kleid, das von einem Gürtel in der Taille zusammengehalten wurde. Ihr blondes Haar kräuselte sich unter einem weißen Kopftuch hervor, das ihr edel geschnittenes Gesicht und die kornblumenblauen Augen betonte. Eine feine Röte verlieh ihren Wangen ein frisches und gesundes Aussehen, das von dem Lächeln ihres vollen Mundes unterstrichen wurde.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte sie und stellte Krug und Teller auf einer der Bretterkisten ab, die den Mägden als Nachttische und Schemel gleichermaßen dienten. »Berchta meinte, es ginge dir besser.« Behutsam ließ sie sich neben ihrer Schwester auf der Bettkante nieder und legte ihr die kühlen Finger auf die Stirn. »Du hast kein Fieber mehr.« Ihre kundige Hand wanderte weiter zu Brigittas Hals und Achselhöhlen, die sie sorgfältig abtastete. »Dem Herrn sei Dank«, murmelte sie und schlug ein Kreuz vor der Brust. »Es war nur ein Hitzschlag.« Ein Strahlen erhellte ihre Miene, die sich einen Augenblick später jedoch wieder verdunkelte. »Die Pest ist im Dorf angekommen.«
    Diese Neuigkeit traf Brigitta wie ein Faustschlag. »Wann …?«, hub sie an, doch Clementine fiel ihr ins Wort. »Du hattest fünf Tage Fieber.« Ihre Augen glänzten feucht. »Ich hatte schon befürchtet, du würdest die Woche nicht überleben.«
    Sie warf die Arme um Brigittas Hals und drückte die Schwester so fest an sich, dass diese sich schließlich nach Atem ringend befreite.
    »Zwei der Männer, die auf dem Markt in Ulm waren, sind bereits tot«, informierte Clementine sie nach kurzem Schweigen mit einem Seufzen. »Und eines der Häuslerkinder. Ruo und Thomas’ Stiefmutter klagen auch schon über Gliederschmerzen und Übelkeit.« Erneut malte sie ein Kreuz in die Luft und bewegte die Lippen in einem kurzen Gebet. »Wenn die Männer dich nicht gefunden hätten …«, sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Wer weiß, ob du dann noch am Leben wärst.«
    Wie bereits in der Nacht zuvor sorgte ein kalter Schauer dafür, dass sich eine Gänsehaut über Brigittas Arme legte. Fröstelnd wickelte sie ihr Nachtgewand enger um sich und versuchte, den Gedanken festzuhalten, der sich in dem Durcheinander ihres Geistes verstecken wollte.
    »Der Knecht!«, flüsterte sie schließlich bange und bohrte ihren Blick in den ihrer Schwester. »Ich muss ihn sehen!« Sie wollte aufstehen und aus der Kammer stürzen, doch heftige Benommenheit ließ sie mit einem Griff an den Kopf zurück auf die strohgestopfte Matratze sinken.
    »Iss«, befahl Clementine sanft und drückte ihr eine der dick gebutterten Brotscheiben in die Hand. »Du musst wieder zu Kräften kommen.«
    Obschon sie vor Ungeduld beinahe platzte, biss Brigitta gehorsam in das Butterbrot und trank gierig von der lauwarmen Milch, die direkt aus dem Kuheuter zu kommen schien. Als sie sich schließlich gesättigt den Mund wischte, fühlte sie, wie ihre Lebensgeister zurückkehrten. »Du musst mich zu ihm bringen«, drängte sie Clementine und wollte erneut aufspringen, doch ihre Schwester schüttelte traurig den Kopf.
    »Das kann ich nicht«, sagte sie leise. »Er war der Erste, der gestorben ist.« Als sie die Fassungslosigkeit auf Brigittas Gesicht sah, fuhr sie mit einer beruhigenden Geste fort:

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