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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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den Hof zu den nahezu verwaisten Stallungen. Da sich ein Großteil der Tiere auf den Koppeln befand, herrschte eine seltsame Ruhe in dem angenehm kühlen Gebäude, das nach Leder, Stroh und Pferdedung duftete. Ohne auf die fragenden Blicke der Männer zu achten, die mit dem Ausmisten der Boxen beschäftigt waren, ließ sie sich von einem Stallknecht ihre Stute satteln und saß mit seiner Hilfe auf.
    Nachdem sie mit geübtem Griff ihre Röcke zurechtgezupft hatte, drückte sie dem Tier leicht die Ferse in die Flanke und trabte die Sattelgasse entlang, durch den Torbogen und über die Zugbrücke. Bedachtsam lenkte sie die Stute den zwar gepflasterten, aber steil abfallenden Weg zum Dorf hinab, wo sie sich nach Osten wandte und schon bald die nach Dillingen führende Straße erreichte. So beschäftigt war sie damit, den Schlaglöchern und überall herumliegenden Steinen auszuweichen, dass sie den einsamen Reiter nicht bemerkte, der ihr in einigem Abstand folgte. Über ihr schoben sich die seit dem Morgen quellenden Wolken zu einer Unheil verkündenden Wand zusammen, und auch der Wind frischte allmählich auf. Wenn sie nicht nass werden wollte, musste sie sich beeilen!
    Als sie an den Feldern ihres Gemahls vorbeitrabte, verneigten sich die Bauern ehrerbietig, doch sie war viel zu sehr in Gedanken versunken, um den Gruß zu erwidern. Wenngleich der Untergrund nur allmählich sicherer wurde, trieb sie ihr Reittier schon bald zum Galopp, den sie erst verlangsamte, als sie nach einigen Meilen in den Schatten uralter Eichen und Kiefern eintauchte. Da die Männer sich seit Sonnenaufgang auf der Jagd im Oettinger Forst befanden, hatte sie beschlossen, die Gelegenheit zu nutzen, um ein weiteres Mal zu der heilkundigen Frau im Wald zu reiten. Ihre Hand tastete nach der Flasche, die sie unter dem smaragdgrünen Obergewand versteckt hatte. Auf keinen Fall wollte sie Gefahr laufen, ihren Vorrat an dem Wunder wirkenden Liebestrank aufzubrauchen! Ein zufriedener Ausdruck stahl sich auf ihr Gesicht. Wie sich das Blatt gewendet hatte! Sie wusste nicht, ob es ein Schauer der Lust war, der über ihre Arme kroch, oder ob die immer dichter stehenden Bäume und das Gefühl, von unzähligen Augenpaaren beobachtet zu werden, das Prickeln verursachten.
    Beinahe vermeinte sie, Wulfs liebeskundige Hände in ebendiesem Moment auf ihrem Körper zu spüren, und als das Knacken eines dürren Zweiges an ihr Ohr drang, wandte sie sich mit klopfendem Herzen um und zügelte ihr Reittier. Angestrengt lauschte sie in das dämmrige Zwielicht des Waldes, über dessen Baumkronen es immer dunkler zu werden schien. Vermutlich ein Tier, dachte sie und nahm die Zügel wieder auf. Anstatt sich von Hirngespinsten narren zu lassen, sollte sie lieber zusehen, dass sie die Kate der Alten fand, die in einer Doline mit schroff abfallenden Wänden versteckt lag. Beinahe als wollte das Kräuterweib so nahe am Reich der Finsternis sein wie irgend möglich, überlegte sie und erneut überlief sie ein Frösteln.
    Mit zwischen die Schultern gezogenem Kopf lenkte sie die Stute durch krüppeliges Unterholz über eine kleine Lichtung vorbei an einem ausgetrockneten Bach, bis sie schließlich die bläulich schimmernden Tannen erreichte, die den letzten Wegweiser darstellten. Als sie am Rand des Karsttrichters angelangt war, glitt sie behände aus dem Sattel, band den Zügel an einem starken Ast fest und kletterte behutsam in den Abgrund. Dort quoll dichter Rauch aus dem Schornstein einer windschiefen Bretterhütte, deren Dach mit einer Schicht Moos überwuchert war. Bevor sie die in den Scharnieren quietschende Tür aufstieß, warf sie einen letzten Blick in die Richtung, aus der sie gekommen war, und versicherte sich, dass der mit Topasen besetzte Dolch noch an ihrem Gürtel hing. Nichts rührte sich. Sie atmete tief ein und betrat die von einem riesigen Kochfeuer erhellte Hütte. Adelheid musste einige Male blinzeln, bevor sich ihre Augen an das flackernde Licht gewöhnten.
    In einer Ecke – beinahe als wäre sie dort festgewachsen – hockte eine zahnlose Alte auf einem schlampig gezimmerten Schemel und starrte mit trüben Augen in die Flammen. Ihre klauenartig verkrümmten Hände umklammerten einen knotigen Stock, den sie vor sich in den Boden gerammt hatte. Das verfilzte, gelblich-weiße Haar stand in wirren Strähnen von ihrem Kopf ab, der an einen verschrumpelten Apfel erinnerte. Das Feuer malte ein bizarres Schattenmuster auf ihr runzliges Gesicht, und hätte Adelheid

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