Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
zerschmettern drohte. Die abgemagerte Gestalt, die wie tot in den Kissen des riesigen Bettes lag, verzog den Mund zu einem gespenstischen Lächeln, als sie sein Erscheinen bemerkte.
»Sie ist fort«, keuchte sie, bevor sie von einem schrecklichen Hustenanfall geschüttelt wurde. Das ehemals schöne Gesicht Anna von Ensingens war bis zur Unkenntlichkeit entstellt, und die braunen Augen waren so tief in die Höhlen gesunken, dass es schien, als blickten sie aus einem Totenschädel.
»Keine Angst«, flüsterte sie, als Ulrich wie verbrannt die Hand zurückzog, mit der er sie am Arm gepackt hatte. »Es ist nicht die Pest, nur ein Fieber.« Sie schloss die pergamentartigen Lider. »Und diese furchtbaren Schmerzen.« Diese Worte schienen ihre Kraft erschöpft zu haben, da ihr Kopf zur Seite rollte und sie weder auf Ulrichs Fragen noch auf sein sanftes Schütteln reagierte.
Wo zum Teufel war das kleine Flittchen?! Kochender Zorn stieg in Ortwin auf, als er alle Selbstbeherrschung zusammennahm, um der Gemahlin des Meisters nicht an die Kehle zu gehen. Was sollte das bedeuten? Wie konnte sie fort sein, wenn das Haus seit vierzig Tagen bewacht wurde? Er presste die Lippen zusammen, um den in ihm aufsteigenden Wutschrei zu unterdrücken. Mit einem lautlosen Fluch ballte er die Hände an den Seiten zu Fäusten und trat auf Annas Bettstatt zu.
»Wo ist sie?«, fragte er kalt und beugte sich zu der Kranken hinab. »Sagt mir, wo sie sich versteckt!«
Er wollte sie an den Schultern packen, aber Ulrich von Ensingen hielt ihn zurück. »Vergiss es«, spuckte er aus und wandte seiner Gemahlin angeekelt den Rücken zu. »Lass uns das Haus durchsuchen. Weit kann sie nicht sein.« Damit stürmte er vor Ortwin aus der Kammer und polterte die Treppen ins Untergeschoss hinab, wo er die Tür zur Küche auftrat. Wie ein Wirbelsturm fegte er an Herd und Feuerstelle vorbei in die Schlafräume der Knechte und Mägde, die direkt an die Vorratskammer anschlossen. Da er ihm dicht auf den Fersen folgte, wäre Ortwin um ein Haar mit Ulrich zusammengestoßen, als dieser abrupt haltmachte und entsetzt die Luft anhielt. In einer der verwüsteten Kammern lag die Köchin halbnackt auf dem Boden – ihr Körper übersät mit eiternden Rattenbissen. Röchelnd hob und senkte sich ihre entzündete und verkrustete Brust, während ein Speichelfaden aus ihrem Mundwinkel rann.
»Mein Gott«, murmelte Ulrich und presste sich ein Tuch auf den Mund, bevor er näher an die Frau herantrat, um ihr mit spitzen Fingern eine der Decken überzuwerfen. »Warum hat der vermaledeite Bader uns nicht gewarnt?«, fragte er angewidert und befahl: »Hol mir zwei Mönche. Ich will keine Kranken unter diesem Dach haben, wenn wir wieder einziehen.«
Ortwin stand hin und her gerissen zwischen der Erleichterung, den trotz der Zedernfackeln nach Exkrementen stinkenden Raum verlassen zu können, und dem Drang, jeden Winkel des Hauses nach Brigitta zu durchsuchen. Schließlich aber gewann der Ekel die Oberhand und er machte auf dem Absatz kehrt, um zum Barfüßerhospital zu eilen. Dort benachrichtigte er den Infirmarius, der ihm augenblicklich zwei Brüder und eine Bahre mit auf den Weg gab.
Als er mit den Mönchen zurückkehrte, sah er bereits von Weitem, dass Ulrich von Ensingen in eine Auseinandersetzung mit einem Bewaffneten verstrickt war, dessen Rock ein hässlicher, buckelnder Kater zierte.
»Verschwindet, habe ich gesagt. Es ist mir egal, wer Euer Herr ist. Sein Name bedeutet hier nichts!«, hörte Ortwin den Werkmeister toben, bevor er dem Besucher ärgerlich das Tor vor der Nase zuschlug. Dieser trat noch einige Atemzüge lang unentschlossen von einem Fuß auf den anderen, bevor er sich achselzuckend trollte.
»Was wollte der Kerl?«, fragte Ortwin, nachdem die Mönche ins Obergeschoss verschwunden waren, um zuerst Anna von Ensingen ins Hospital zu bringen.
Ulrich lachte bitter. »Der Tag steckt voller Überraschungen!«, grollte er und rieb sich mit den Handflächen über das erhitzte Gesicht. »Du wirst nicht glauben, wen er sehen wollte!«
Ortwin hob fragend die Brauen.
»Deine verehrte Braut, die offensichtlich das Weite gesucht hat!«, zischte Ulrich und ließ sich schwer auf einen Schemel fallen, bevor er wie zu sich selbst sagte: »Nichts, gar nichts, nicht einmal im Stall oder in der Badestube. Wie vom Erdboden verschluckt!«
Nur allmählich gelang es Ortwin, dem Werkmeister aus der Nase zu ziehen, dass dieser den gesamten Besitz erfolglos nach seiner
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