Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
glühendes Gesicht noch mehr brannte. Wer sonst konnte es sein?!
Ein tiefes, bedrohliches Donnern ließ sie zusammenfahren und hoch zum Himmel blicken. Nicht mehr lange und sie würde den Wald hinter sich lassen und über freies Gelände reiten müssen. Mit einem Mal um das ungeborene Leben in ihrem Leib besorgt, trieb sie ihre Stute zu einem schnellen Trab an, während ihre Gedanken zu dem Problem zurückkehrten. War ihr Verdacht zu vorschnell? Konnte es nicht auch eine der unverschämten Dirnen sein, mit denen Wulf sein Bett geteilt hatte, bevor Adelheid ihn für sich gewonnen hatte?
Der Stachel der Eifersucht bohrte sich in ihr Herz. Hatte sie nicht erst vor drei Tagen eine der Mägde aus dem Palas in die Küche verbannt, weil diese ihrem Gemahl schamlos schöne Augen gemacht hatte? Und was für Augen es waren! Dunkel wie Kohlen und mit unanständig langen Wimpern versehen! Sie ballte die Fäuste um die Zügel und unterdrückte den in ihr aufsteigenden Hass. Wenn sie ihren Sohn schützen wollte, durfte sie sich nicht von ihrem Herzen leiten lassen, sondern musste ihren Verstand benutzen. Hatte die Alte nicht gesagt, dass Wulf sie liebte? Dass sie den Trank nicht mehr benötigte? Außerdem gehörte die Magd nicht zu ihrer Familie. Sie würde den Feind unter ihrem Dach ausfindig machen und dafür sorgen, dass er Katzenstein verließ!
Ein quer über den Himmel zuckender Blitz unterbrach ihr Grübeln, da die Stute unter ihr mit einem erschrockenen Schnauben ausbrach. Unter Aufbietung aller Kraft und Geschicklichkeit gelang es ihr, im Sattel zu bleiben, während das Tier in halsbrecherischem Galopp über eine mit kniehohem Unkraut bewachsene Weide preschte. Am Horizont zeichneten sich bereits die Umrisse der Burg ab, die von den immer schneller aufeinanderfolgenden Blitzen unheimlich erhellt wurden, als der Regen einsetzte. Innerhalb weniger Minuten war die Landschaft hinter einem Vorhang aus Wasser verschwunden, der von einem kühlen Wind in Bahnen über Felder, Bäume und Dächer gepeitscht wurde. Wo die dicken Tropfen auf Widerstand trafen, sprühte weiße Gischt auf, sodass sämtliche Umrisse merkwürdig verwischt wirkten. In rasender Geschwindigkeit zogen zerklüftete Wolken über einen Himmel, der – so dachte Adelheid mit Grausen – das Ende der Welt verkündete. Um sich vor der Naturgewalt zu schützen, machte sie sich so klein wie möglich und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie die schützenden Mauern Katzensteins bald erreichen mochte.
Kapitel 40
Ulm, Anfang August 1368
»Die Zeit ist um.«
Lediglich ein schwaches Beben in Ulrich von Ensingens Stimme verriet die Aufregung des Werkmeisters, der wie Ortwin an diesem Tag nur ein einfaches Frühstück zu sich nahm. Obschon die Sonne bereits über den Horizont lugte, würde heute keiner der beiden Männer zur Baustelle gehen, da mit der vergangenen Nacht die Quarantäne im Haus des Werkmeisters abgelaufen war.
Seit er von Martins ewiger Beterei aufgeweckt worden war, hatte Ortwin sich wohl schon hundert Mal die feuchten Handflächen abgewischt, doch je näher der Zeitpunkt der offiziellen Hausöffnung rückte, desto nervöser wurde er. Was, wenn das wackelige Fundament, auf das er sein gesamtes zukünftiges Leben gebaut hatte, mit dem heutigen Tag zum Einsturz kam? Der Bissen, an dem er lustlos gekaut hatte, drohte, ihm im Hals stecken zu bleiben. Was, wenn er entdecken musste, dass seine Braut nicht mehr lebte? Nur mit Mühe unterdrückte er ein Zittern seiner Hand, als er den Trinkbecher zum Mund führte. Als habe er den Einsatz, der für Ortwin auf dem Spiel stand, noch erhöhen wollen, hatte Ulrich ihm verkündet, dass er die Meisterfeier gleich nach der Hochzeit angesetzt hatte, die stattfinden würde, sobald die nötigen Dokumente unterzeichnet waren.
»Und dann brechen wir nach Mailand auf«, hatte der Werkmeister seinen zukünftigen Schwiegersohn mit einem Strahlen wissen lassen.
Wenngleich der Apfelwein nicht saurer war als sonst, schnürte er Ortwin die Kehle zusammen, und er hustete trocken.
»Bist du so weit?«, fragte Ulrich, der sich die Finger an der Hose abwischte und Anstalten machte, sich zu erheben. »Ich bin sicher, du kannst es kaum erwarten, deine Braut wiederzusehen«, fügte er hinzu und setzte ein steifes Lächeln auf, das bereits nach wenigen Momenten gefror.
Wenn sie noch am Leben ist, ergänzte Ortwin in Gedanken. Wie Ulrich von Ensingen selbst war auch er in den vergangenen Wochen täglich um das Haus des
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