Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
denen das Getreide gedroschen wurde. Denn in dem Moment, in dem sie in den dunkel gähnenden Schlund des offen stehenden Tores eintauchte, begann das Gesinde von der Beerdigung zurück auf den Hof zu strömen.
Da eine Handvoll der Männer direkt auf Brigittas Versteck zusteuerte, schlüpfte sie mit heftig klopfendem Herzen hinter eine Reihe prall gefüllter Säcke, die Schutz vor Blicken boten, solange niemand allzu nahe kam. Hastig stopfte sie den groben Hemdrock, die enge Hose und die an einem breiten Schulterkragen befestigte, Gugel genannte Kapuze in einen der Säcke, die mit einem schwarzen Kreis gekennzeichnet waren. Wenn diese Ladung in drei Tagen ihren Weg zum Markt in Ulm antrat, würde Brigitta mit ihr reisen. Während die Knechte begannen, die Dreschflegel zu schwingen, duckte sie sich tiefer und tastete nach dem Geld in ihrer Tasche. Zehn Pfennige hatte sie in der Zeit seit ihrer Ankunft gesammelt. Das war nicht viel, doch da sie wie der Rest des Gesindes freie Kost und Logis genossen hatte, war es das Höchstmaß dessen, was sie hatte sparen können. Es würde ihr auf alle Fälle dabei helfen, nicht zu verhungern, dachte sie und schrak zusammen, als einer der Männer einen schweren Sack in ihre Richtung schleuderte.
Lange Zeit blieb ihr – wollte sie nicht entdeckt werden – nichts anderes übrig, als dem Poltern und Krachen der Schlegel zu lauschen, doch als die Knechte schließlich eine Pause einlegten, spitzte sie trotz aller Bangigkeit die Ohren.
»Ich finde, es ist unrecht«, brachte einer von ihnen unter Kauen hervor, da sie offensichtlich eine Zwischenmahlzeit zu sich nahmen. »Irgendwann rächt es sich, dass er die Mönche immer wieder betrügt.« Er stieß einen kehligen Rülpser aus und kaute deutlich hörbar weiter.
Wer betrog wen? Vorsichtig, um sich nicht durch ein verdächtiges Geräusch zu verraten, schob sich Brigitta auf allen vieren ein wenig näher an die Männer heran, die sich mit dem Rücken zu ihr auf einem Strohhaufen niedergelassen hatten.
»Weshalb?«, hielt ein breitschultriger Kerl mit einem zerwühlten Blondschopf entgegen. »Es ist nicht weniger unrecht, dass sie die Abgaben kassieren, ohne sich auch nur im Geringsten um das Land und die Leute zu scheren!«, versetzte er hitzig und nahm von einem anderen einen irdenen Krug entgegen, den er an die Lippen setzte. »So lange sie die Säcke nicht durchwühlen, merken sie doch gar nicht, dass das Korn am Boden faul ist«, schnaubte er, nachdem er sich den Mund mit dem Handrücken abgewischt hatte. »Und wen scherts? Es bleibt immer noch genug für sie übrig!« Ein zustimmendes Gemurmel erhob sich, und wenngleich Brigitta gerne mehr erfahren hätte, setzten sie ihre Mahlzeit schweigend fort, bevor sie sich schließlich wieder erhoben, um mit der Arbeit fortzufahren.
Was um alles in der Welt hatten sie gemeint? Von dem belauschten Gespräch angestachelt, schob sie sich gefährlich nahe an die Knechte heran, die gerade einen der flach zusammengelegten Säcke entfalteten, um ihn mit dem von der Spreu befreiten Korn zu füllen. Ehe sie allerdings den goldgelben Weizen hineinschaufelten, fuhren sie mit den Händen in einen Bottich, der eine schwarze Masse enthielt. Diese warfen sie achtlos auf den Grund des Sackes, bevor sie ihn mit dem reifen, duftenden Korn bis kurz unter den Rand auffüllten. Daraufhin wuchteten sie die Last auf eine grobe Balkenwaage und schöpften mit einer Schale das überschüssige Getreide wieder ab.
»Wie gut, dass das vergammelte Zeug so schwer ist«, meinte der Blonde und schulterte den Sack, um ihn zu den anderen zu bringen.
Erschrocken zog Brigitta sich wieder in ihr Versteck zurück, da sie in diesem Augenblick begriff, was den Reichtum des Meiers mehrte. Er betrog seine Käufer und die Mönche, für die er die Abgaben von den Hörigen einzog. Empörung stieg in ihr auf, als sie tastend die Hand über die grobe Sackleinwand zu ihrer Rechten wandern ließ. Auch hier schien eine beinahe zwei Hand breite Schicht des feuchten, verfaulten Korns den Boden zu bedecken. Kein Wunder, dass er reich war wie Krösus! Eine andere Empfindung gesellte sich zu ihrer Aufregung, als sie begriff, wie schwer die Entdeckung wog. Mit einem Mal schwitzend verlagerte sie das Gewicht auf die Fußballen, und das mulmige Gefühl in ihrer Magengegend, das sie bereits seit dem Aufstehen plagte, verstärkte sich. Da sie mit jedem Atemzug mehr vermeinte, ersticken zu müssen, zerrte sie an dem engen Kragen ihres Hemdkleides,
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