Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Frau geben wird, wenn ich endlich heiraten darf?«
»Nein!« Das Grauen, das sie bei diesen Worten erfüllte, wollte Brigitta die Sinne rauben. Wie eine Gliederpuppe, der man die Fäden durchgeschnitten hatte, sackte sie in sich zusammen, und hätte Ortwin sie nicht aufrecht gehalten, wäre sie zu Boden geglitten. Wie sehr sie diesen Mann verabscheute! Seit er vor drei Jahren in den Haushalt ihres Vaters eingetreten war, hatte er sie mit Furcht und Widerwillen erfüllt. Mehr als einmal hatte sie ihn dabei ertappt, wie er ihr zum Abort nachgeschlichen war. Zwar hatte das kleine Häuslein einen Riegel, doch hatte Brigitta stets gefürchtet, dass er sie mitten in der Verrichtung ihres Geschäftes unterbrechen oder durch einen Spalt in der Wand beobachten könnte. Dass er sie begehrte, hatte sie gespürt. Aber dass er plante, sie zu seiner Gemahlin zu machen, verschlug ihr nicht nur die Sprache. Es machte sie starr vor Entsetzen.
»Niemals«, hauchte sie und bog den Kopf zur Seite, als er sie erneut küssen wollte. »Das hast du nicht zu entscheiden«, knurrte er und fasste sie brutal am Kinn, um sie dazu zu zwingen, ihn anzublicken. »Am besten, du findest dich damit ab und übst dich schon mal in Gehorsam. Wenn ich dich dabei erwische, wie du diesem Gunner schöne Augen machst, werde ich dir zeigen, was du zu erwarten hast, wenn du nicht tust, was ich sage!«
Die Drohung ließ sie mühsam schlucken. Immer noch gruben sich seine Finger in die empfindliche Haut ihrer Wangen, die wie Feuer brannten. Als er nach einer scheinbaren Ewigkeit endlich die Hände sinken ließ, bebte sie wie Espenlaub. »Ich kann es kaum erwarten«, flüsterte er und fasste sich in den Schritt, bevor er sich abrupt abwandte und aus dem Schuppen stürmte, als müsse er vor ihr fliehen und nicht sie vor ihm.
Eine Zeit lang verharrte Brigitta regungslos, bevor sie auf die Knie fiel und keuchend nach Luft rang. Wie eine Wahnsinnige schob sie sich den Stoff ihres Ärmels in den Mund, um den widerlichen Geschmack loszuwerden, den seine Zunge hinterlassen hatte. Würgend rang sie um Fassung und spuckte immer wieder ins Stroh, bis ihr der Speichel ausging. Hatte sie noch vor wenigen Stunden gedacht, dass ihr Leben nicht mehr schlimmer werden konnte, hatte sie die Begegnung mit Ortwin eines Besseren belehrt!
Kapitel 4
Burg Katzenstein, Mai 1368
Wehmütig ließ der Ritter Wulf von Katzenstein den Huf des Vierjährigen sinken, den er soeben inspiziert hatte. Wie jedes Jahr in den Wochen vor dem großen Pferdemarkt in Ulm brach es ihm das Herz, sich von den temperamentvollen und eleganten Arabern trennen zu müssen, die er zum Teil eigenhändig zugeritten hatte.
»Du kannst ihn auf die Koppel bringen«, brummte er und drückte dem schlaksigen Stallburschen das Halfter in die Hand, bevor er das Tier mit einem Klaps auf die Hinterhand verabschiedete. »Sieh aber zu, dass du ihn von den anderen Hengsten fernhältst.«
Mit einem Nicken zog der Junge eine abgebrochene Karotte aus der Tasche und führte den nervös tänzelnden Rappen die Sattelgasse entlang in den Hof hinaus, wo sich das Klappern der Hufe zu dem Hämmern des Schmiedes gesellte. Seit Sonnenaufgang war dieser damit beschäftigt, die für den Markt ausgewählten Pferde neu zu beschlagen und deren Zaum- und Sattelzeug auszubessern. In etwas weniger als zwei Monaten fand der mit der Sommersonnwende zusammenfallende Markt in der Reichsstadt Ulm statt, zu dem Händler und Käufer aus ganz Europa zusammenströmen würden. Und beinahe noch mehr als die Jahre zuvor war Wulf in diesem Sommer darauf angewiesen, einen Großteil seiner Zucht zu Geld zu machen. Allerdings aus völlig anderen Gründen. Mit einem Seufzen liebkoste der hochgewachsene Ritter die Nase einer kleinen Schimmelstute, die mit den Lippen an seinem Rock zupfte, bevor sie ein zufriedenes Schnauben ausstieß. Wenn die Entwicklung so weiterging, würden die zierlichen Vollblüter, die seinen ganzen Stolz darstellten, bald nicht mehr dazu taugen, das Gewicht der immer schwerer werdenden Panzer und Rüstungen zu tragen. Und dann würde auch er sich dem Wandel nicht länger verschließen können und auf die kurzbeinigen, stämmigen Kaltblüter umstellen, die als Schlachtrösser jedes Jahr höher im Kurs zu stehen schienen. Doch solange es noch adelige Damen und Pferdenarren gab, würde er immer eine kleine Zucht der edlen Tiere weiterführen.
Nachdenklich wandte er der mit einem Wiehern protestierenden Stute den Rücken und
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