Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
schlenderte auf das weit offen stehende Tor zu, durch das strahlender Sonnenschein in die Stallungen fiel. Geblendet schloss er für einen kurzen Moment die Augen, bevor er in das geschäftige Treiben im Hof der mächtigen Ringburg eintauchte, über der – allem Unken zum Trotz – immer noch das Wappen seiner Familie im leichten Westwind flatterte. Mit einem säuerlichen Lächeln beobachtete er den buckelnden schwarzen Kater einige Zeit lang, bevor er sich nach rechts wandte und im Schatten des Wehrganges auf den Palas zusteuerte, hinter dem sich der gewaltige, mit Zinnen bewehrte Bergfried erhob. Als er an dem winzigen Backhäuslein vorbeikam, dessen gemauerter Ofen wie immer einen köstlichen Duft verströmte, lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Zwar hatte er ausgiebig gefrühstückt, doch hatte er über der Auswahl der Tiere für den Markt die Zeit vergessen, und ein Blick zum Himmel verriet ihm, dass bereits die dritte Stunde angebrochen war. Dem Knurren seines Magens nachgebend, lenkte er die Schritte zu der ebenerdig gelegenen Brunnenstube des Palas, in der sich die Burgküche befand. Ohne auf die ehrerbietigen Begrüßungen und Verneigungen der Bediensteten zu achten, griff er sich ein kaltes Hühnerbein und einen Kanten Weißbrot, bevor er die Treppen zur Halle erklomm. Kauend nickte er seinem Waffenmeister zu, der die vier in Wulfs Diensten stehenden Knappen vor sich hertrieb – zweifelsohne, um sie mit knochenbrechenden Übungen auf dem abgesteckten Turnierplatz hinter der Burg zu quälen. Als sein Neffe, der sechzehnjährige Friko von Oettingen, an ihm vorbeischlich, fuhr ihm ein Stich ins Herz. Mit dem dunklen Schopf und dem kräftigen Wuchs hätte man ihn für einen Sohn des Katzensteiners halten können, doch entsprachen weder der hinterhältige Charakter noch die Feigheit des Knaben den Ansprüchen, die Wulf an einen Ritter stellte.
Grimmig sah er dem sich entfernenden Rücken nach, bevor er sich auf eine der Bänke in der Halle fallen ließ, um in aller Ruhe sein kärgliches Mahl zu beenden. Er hatte gerade die Finger gesäubert, als sich die Tür öffnete und seine Gemahlin, Adelheid von Oettingen, den Saal betrat. Sorgsam darauf bedacht, nicht auf die übertrieben lange Schleppe zu treten, raffte sie das reich bestickte Obergewand und zog den Kopf ein, um mit dem spitzen Hennin nicht am Türrahmen hängen zu bleiben. In dem tiefen Ausschnitt ihres Kleides funkelte ein mit Juwelen besetztes Kruzifix, nach dem ihre Hand in dem Moment griff, in dem sie sich der Gegenwart ihres Gemahls bewusst wurde. Mit ihren dreiundzwanzig Jahren war sie siebzehn Jahre jünger als der Ritter, der sich zuvorkommend erhob und sie mit einer wortlosen Verneigung begrüßte.
»Wulf, wie schön, Euch zu sehen.« Die von ungewöhnlich hellen Wimpern umrahmten wasserblauen Augen strahlten, und das herzförmige Gesicht überzog sich mit einer leichten Röte. Eine der flachsblonden Strähnen war dem strengen Kopfputz entkommen und kräuselte sich sanft an ihrer linken Schläfe.
»Meine Dame.« Er nickte distanziert und wollte sich zum Gehen wenden, doch sie trat mit ungewohnter Forschheit auf ihn zu und legte die Hand auf seinen Arm.
»Ich möchte nicht in Euch dringen«, hub sie unsicher an und blickte zu ihm auf. Da er sie um nahezu zwei Köpfe überragte, musste sie dabei den Kopf beinahe komisch weit in den Nacken legen. »Aber ich sehe, wie Euch die Auswahl der Pferde quält.« Bevor Wulf etwas erwidern konnte, fuhr sie hastig fort. »Wenn es ums Geld geht …«
Der Ausdruck, der in seine dunklen Augen trat, brachte sie zum Schweigen. Beinahe grob streifte er ihre Hand ab und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Ich weiß, was Ihr andeuten wollt«, presste er nur mühsam beherrscht hervor, während alle Farbe aus dem Gesicht seiner Gattin wich. »Aber denkt Ihr nicht, dass Ihr mich schon genug in der Hand habt?!« Mit diesen Worten wandte er ihr abrupt den Rücken und stürmte an ihr vorbei die Treppen hinauf, die sie soeben hinabgekommen war.
»Ich werde für Euch beten«, hörte er sie flüstern, bevor er die Tür zum ersten Stock so heftig hinter sich zuknallte, dass sich ein Stück Putz von der Decke löste.
»Ja, tut das!«, knurrte er und stürmte weiter, bis er die Zimmerflucht im dritten Stockwerk erreicht hatte, deren Zutritt einzig und allein ihm gestattet war. Ein empörtes Kreischen verriet, dass er den aus dem Heiligen Land stammenden Steppenkiebitz aus seiner Mittagsruhe aufgeschreckt
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