Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Haar wie ausgerissener Seetang auf den Wellen schwamm. Die nackten Beine staken in einem unnatürlichen Winkel aus den beinahe schwarzen Fluten, die mit einem Mal bedrohlich und tödlich wirkten. Als habe ihn ein Fluch in eine Salzsäule verwandelt, erstarrte Wulf mitten in der Bewegung, und bevor er sich davon abhalten konnte, entfloh ihm ein entsetzter Ausruf.
»Lasst sie los!« Seine Stimme war so unsicher und heiser, dass er sie kaum wiedererkannte. Den Bruchteil eines Augenblicks verharrte der Angesprochene, bevor er blitzschnell wie eine Schlange von der Frau abließ und herumfuhr. Wie um ihrer Leblosigkeit zu spotten, ergriff das Wasser unverzüglich Kontrolle über den Körper und schaukelte ihn beinahe sanft in Richtung Böschung. Doch das Erkennen traf Wulf mit solcher Gewalt, dass er nicht sah, wie sich ihre Röcke an einer in den Fluss ragenden Baumwurzel verfingen.
»Ortwin!«, flüsterte er rau und griff hinter sich, um Halt am Stamm einer Weide zu suchen. Einige hämmernde Herzschläge lang bohrten die beiden Männer die Blicke ineinander, doch als Ortwins Hand zu der Waffe an seinem Gürtel zuckte, brach der Bann.
»Du kleine Kröte«, knurrte er gefährlich ruhig und watete zielstrebig auf Wulf zu, der ebenfalls den Griff seines Dolches umklammerte. »Heute muss mein Glückstag sein!« Kaum hatte er festen Boden unter den Füßen, stürzte er sich mit einem derben Fluch auf Wulf, den die Wucht des Aufpralls in den Schlamm sandte. Alle Luft wich aus Wulfs Lungen, als Ortwin sich mit seinem vollen Gewicht auf ihn fallen ließ, bevor er die zur Faust geballte Hand zurückzog und ihm einen Schlag versetzte, der ihm beinahe den Kiefer zerschmetterte. Ein weiterer Hieb sorgte dafür, dass ein Nebel der Benommenheit den jungen Mann orientierungslos machte, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als blind und in Todesangst mit der Klinge in der Luft herumzufuchteln. Dem hässlichen Lachen seines Widersachers folgte ein eiserner Griff, der Wulf mühelos die Waffe entwand. Sein Blick begann sich gerade wieder zu klären, als Ortwin seine Schultern mit den Knien an den Boden nagelte. Hilflos wie ein auf dem Rücken liegender Käfer starrte er in die kalten Augen, in denen ungehemmte Mordlust funkelte.
»Fahr zur Hölle!«, zischte Ortwin, griff mit einer flüssigen Bewegung den Dolch und holte aus.
Doch der tödliche Stoß kam nicht. Stattdessen spürte Wulf, der die Lider aufeinandergepresst hatte, wie das Gewicht von seiner Brust geschleudert wurde, bevor jemand ihn an der Schecke packte und derb auf die Beine zog.
» Er hat sie getötet!«, jaulte Ortwin, der neben dem Ritter, der seine Kehle mit dem Unterarm umklammert hielt, beinahe schmächtig wirkte. »Ich habe ihn dabei ertappt!« »Halt dein Maul«, herrschte ein anderer Soldat ihn an und trat auf Wulf zu, der einem Reflex folgend vor ihm zurückweichen wollte.
Die mächtige Brust des blonden Mannes bedeckte ein gelber Wappenrock mit drei übereinanderliegenden, schwarzen Hirschstangen, und noch während der Scherge, der ihn am Kragen hielt, ihn von sich stieß, war Wulf klar, dass er in Schwierigkeiten steckte. Und zwar in Schwierigkeiten, die nichts mit dem toten Mädchen im Fluss zu tun hatten. Er schluckte trocken und wich dem Blick eisblauer Augen aus.
»Ist er das?«, wandte der Blonde sich nach kurzer Betrachtung an jemanden, der hinter Wulf getreten war; und als sich ein aufgeschwemmtes, von strähnigem Haar umrahmtes Gesicht zögernd von der Seite an ihn heranschob, erkannte Wulf den Ritter mit dem Elefantenwappen. Hell leuchtend hob sich das behäbig wirkende Wappentier von dem blutroten Grund ab, der sich über einem fetten Bauch spannte. Leise murmelnd kniff der Kerl die kleinen Schweinsäuglein zusammen und musterte den Gefangenen, bevor er schließlich eifrig nickte. »Ja, da ist Euch der richtige Fisch ins Netz gegangen. Ich schwöre beim Grab meiner Mutter.«
»Na, das heißt nicht viel«, versetzte der blonde Recke trocken und gab dem Gepanzerten hinter Wulf ein Zeichen, woraufhin dieser dem Jungen hart die Arme auf den Rücken drehte. »Du bist unser Gefangener. Je weniger du dich wehrst, desto besser für dich«, erklärte der Wortführer beinahe heiter, während Wulf vor Schmerz aufkeuchte.
Um zu verhindern, dass ihm die Schultern aus den Gelenken sprangen, beugte er den Oberkörper vor und reckte sich auf die Zehenspitzen. »Bitte«, flehte er verzweifelt. »Ich habe ihr nichts getan. Er hat sie umgebracht.« Mit einem
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