Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
unwillkürlich ergreifende Beklemmung all ihre Hoffnung.
»Teuerste Braut.« Der Hohn in seiner Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken. »Ihr werdet von Tag zu Tag schöner.«
Wie ein Beutetier, das den bevorstehenden Sprung des Jägers spürt, erstarrte Brigitta und zog instinktiv den Kopf zwischen die Schultern.
»Ortwin«, flötete ihre Mutter honigsüß, und das Rascheln ihrer Röcke verriet, dass sie sich für den Rückzug bereit machte. »Ich werde euch allein lassen.«
Bevor Brigitta protestieren und sie zum Bleiben auffordern konnte, fiel die Tür ins Schloss und ein eisiges Schweigen senkte sich über sie. Während der Herzschlag schmerzhaft in ihrer Kehle hämmerte, schoss ihr ein absurder Gedanke durch den Kopf. Was, wenn sie einfach so tat, als gäbe es ihn nicht? Ihre Finger umklammerten Hilfe suchend die Nadel, die ihr zur Not als Waffe dienen konnte. Würde er dann verschwinden? Sich in Luft auflösen und sie in Ruhe lassen?
Die Hand, die brutal in ihre Locken fuhr, um ihren Kopf nach oben zu reißen, beantwortete diese Fragen besser als alle Worte es gekonnt hätten. »Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!«, herrschte er sie zornig an, und die roten Flecken auf seinen Wangenknochen, die den dunklen Bartschatten hervorhoben, verrieten seine Erregung. Als wöge sie nicht mehr als ein Kind, hob er sie mühelos mit der Pranke, die er aus ihrem Haar zurückgezogen hatte, in die Luft und schüttelte sie. Dann ließ er sie so abrupt los, dass die Sticknadel mit einem lächerlich hohen Ping zu Boden fiel. Vollkommen überrumpelt wich Brigitta an die Wand zurück. Ein genüssliches Lächeln teilte seine schmalen Lippen, als Ortwin ihr betont langsam nachsetzte – beinahe als bereite ihm jeder ihrer abgehackten Atemzüge unglaubliches Vergnügen.
Während vor den bunt verglasten Fenstern die Dämmerung den Himmel allmählich rosa färbte, ergriff schwarze Verzweiflung von Brigitta Besitz, denn ein Blick in das hämisch verzogene Gesicht ihres Peinigers verriet ihr, dass Wulfs Vorhaben gescheitert war. Ganz sicher war Ortwin nicht gekommen, um seine Verlobung mit ihr zu lösen! Als ihn schließlich keine zwei Handbreit mehr von ihr trennten, warf er unvermittelt den Kopf in den Nacken und brach in ein solch markerschütterndes Lachen aus, dass Brigitta sich keuchend die Hände auf die Ohren presste. Die ansonsten lethargischen Drosseln in dem am Fenster hängenden Käfig begannen, aufgeregt auf ihren Stangen hin und her zu schaukeln. Und auch der kleine Hund ihrer Mutter, der sich unter einer der Sitzbänke zusammengerollt hatte, vergrub winselnd den Kopf zwischen den Pfoten.
Kaum hatte Ortwin sich ein wenig beruhigt, stemmte er die Hände rechts und links von ihr gegen die Wand und schob sein Gesicht so dicht an das ihre heran, dass sie die groben Poren seiner Haut erkennen konnte. »Du wirst ihn nie wiedersehen!«, knurrte er, und als sie widerspenstig das Kinn nach vorne reckte, packte er sie hart an den Schultern. »Selbst wenn du nicht meine Braut wärst«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr und ignorierte ihre Finger, die sich in seinen Arm gruben, um sich von dem schraubstockartigen Griff zu befreien. »Dein kleiner Beschützer ist verhaftet worden. Vermutlich wird er schon morgen am höchsten Galgen des Landes hängen!«
Die Grausamkeit, mit der er diese Worte ausspuckte, war beinahe noch schlimmer als der schmerzhafte Griff, der sich allmählich ein wenig lockerte. Ohne ihr Zeit zu geben, diese niederschmetternde Neuigkeit zu verarbeiten, fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen und drohte: »Du solltest aufhören, dich gegen dein Schicksal zu sträuben«, zischte er. Ein gefährliches Funkeln trat in seinen Blick. »Der Tag unserer Hochzeit ist nah. Es wäre besser, wenn du deinem zukünftigen Gemahl zeigst, wie sehr du ihn achtest und ehrst!« Sein Mund näherte sich ihrem Gesicht. Er machte gerade Anstalten, seine Lippen auf die ihren zu pressen, als das Knarren der ins Obergeschoss führenden Treppe verriet, dass sich jemand der Stube näherte.
»Verdammt«, presste er nur mühsam beherrscht hervor und trat einen Schritt von ihr zurück. »Heb die Nadel auf«, fauchte er barsch und zauberte ein falsches Lächeln auf sein Gesicht, bevor er sich von ihr abwandte, um den Neuankömmling zu begrüßen, der soeben den Raum betrat. »Matthäus«, trompetete er gekünstelt kameradschaftlich, trat auf Brigittas verblüfften Bruder zu und drosch diesem die Hand auf die
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