Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)
anderen. Aber auch sie entschieden sich dafür, den vielfach überlegenen Sinnen des Elben zu vertrauen.
Sie waren kaum losgelaufen, da rollten bereits große Felsbrocken zusammen mit einer Lawine aus Geröll einen nahen Berghang hinab.
Auf der anderen Seite des Passes verzweigten sich ebenfalls Risse im Fels, und auch von dort aus schoss eine Gerölllawine talwärts.
Augenblicke nur, und wir werden alle begraben sein, durchfuhr es Arvan. Plötzlich waren sie alle wie erstarrt. Gleichgültig, wohin sie auch liefen– es gab kein Entkommen. Unaufhaltsam drängten die durch die Erdstöße gelösten Massen aus Geröll von den Hängen herab. Eine Flut, die alles bedecken, alles ersticken musste.
»B ei allen Waldgöttern«, murmelte Zalea, während Borro nur mit offenem Mund dastand. Selbst Lirandil schien fassungslos zu sein.
Brogandas murmelte mit dröhnender Stimme, die kaum das Getöse der herabbrandenden Geröllmassen zu übertönen vermochte, eine Formel. Blitze schossen aus seinen Fingerspitzen heraus, bohrten sich in den Boden, der sich aufzulösen und auf eine Länge von zwei Dutzend Schritt in einem dunklen Mahlstrom zu verschwimmen schien.
»W as um der namenlosen Elbengötter willen tut Ihr da?«, rief Lirandil entsetzt.
»W er nicht sterben will, der folge mir!«, rief Brogandas.
»A ber Ihr wisst doch gar nicht, wohin dieser Schlund…«
Brogandas hörte das schon nicht mehr. Lirandils Einwand schien ihm angesichts der Lage gleichgültig zu sein. Er sprang in den Schlund und war im nächsten Moment darin verschwunden. Arvan überlegte noch. Sollte er ihm folgen? Die Gedankenstimme des Elbenstabs war ihm keine Hilfe. Sie winselte nur Unverständliches in seine Gedanken hinein, sodass ihm der Kopf schmerzte. Sie war letztlich offenbar genauso ratlos wie er selbst, und wieder musste Arvan an Lirandils Worte denken, denen zufolge diese Stimme nichts weiter als ein Spiegel seiner eigenen Gedanken war.
Borro sprang, dann Whuon und Rhomroor. Letzterer mit einem durchdringenden Orkschrei, der sogar durch das Getöse der Lawine hindurch zu hören war.
Eine Hand fasste Arvan. Ehe er so richtig begriffen hatte, was geschah, riss Zalea ihn mit sich. Im letzten Moment, bevor er in das dunkle, wirbelnde Nichts dieses Mahlstroms eintauchte, sah er aus den Augenwinkeln heraus Lirandil. Mit dermaßen vor Entsetzen geweiteten Augen hatte Arvan ihn nie zuvor gesehen. Nicht einmal in jenem Augenblick, da sie sich zum ersten Mal begegnet waren und eine Horde Orks dem elbischen Fährtensucher so dicht auf den Fersen gewesen war, dass er eigentlich keine Chance mehr gehabt hatte, lebend davonzukommen.
Arvan! Was auch immer geschieht – du wirst es beenden müssen!
Dieser eindringliche Gedanke des Elben hallte in seinen Gedanken wider– so eindringlich und dröhnend, dass er für einen Moment glaubte, sein Kopf müsste zerspringen. Aber dann war da nichts mehr. Nur noch Schwärze und Bewusstlosigkeit.
Arvan und Ghool
Arvan versuchte die Augen zu öffnen. Die Augenlider schmerzten. Sie waren von der Sonne verbrannt. Der grelle Schein blendete ihn so sehr, dass er zunächst kaum etwas sehen konnte.
»L ass die Augen zu«, sagte eine vertraute Stimme.
»Z alea…«
»I ch sagte, lass die Augen zu!«
Arvan gehorchte. Dann spürte er, wie sie sehr vorsichtig etwas Kühlendes auf seine Augenlider auftrug.
»W as ist das?«
»B lätter des Nassen Strauchs«, sagte sie, während sie ihm mit diesen Blättern nun auch über Stirn und Wangen wischte. »S ie helfen hervorragend gegen Brandwunden. Und offenbar auch gegen Sonnenbrände, wie mein Vater mir mal sagte– was bei uns aber anscheinend ziemlich in Vergessenheit geriet.«
Er öffnete jetzt die Augen. »V ermutlich, weil seit Brado dem Flüchter kaum ein Halbling einen Sonnenbrand gehabt haben dürfte.«
»Z umindest nicht die in den Wäldern am Langen See und in der Dichtwaldmark«, stimmte Zalea zu. »N ur diejenigen, die in der Fremde gewesen waren, haben manchmal davon erzählt…« Sie stockte und musste schlucken. Das alles erinnerte sie nur noch einmal daran, was sich im Halblingwald an unaussprechlichen Schrecken zugetragen hatte.
Arvan blinzelte, und ihm fiel jetzt auf, dass auch ihr Gesicht ganz rot war. Es glänzte etwas, was wohl daher rührte, dass sie sich selbst ebenfalls mit dieser Medizin behandelt hatte. Arvan fuhr auf, griff zum Elbenstab. Ja, wir haben beide den Mahlstrom der Finsternis durchquert, meldete sich die Gedankenstimme. Den
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