Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
dass beide frei sind, jemand anders zu heiraten, so als wären sie nie verheiratet gewesen.
Ich bin so überrascht! Diese tolle Hochzeit und das Kleid und der wunderschöne Schmuck und all die Geschenke und wir Brautjungfern, die ihr die Schleppe getragen haben, und das Hochzeitsfrühstück und der Erzbischof ... und das alles zählt nicht! Wie kann das sein? Die Zobelärmel! Auch sie zählten nicht. Das ist wohl so, wenn man König ist. Er wacht eines schönen Morgens auf und beschließt zu heiraten und tut es. Und dann wacht er eines Morgens auf und beschließt, dass er sie doch nicht mag, und voilà! (das ist Französisch, es bedeutet so etwas wie: ›anmutig‹ oder ›sieh einer an!‹) - und voilà!, er ist nicht mehr verheiratet. Die Ehe war nie gültig, und nun wollen sie einander Bruder und Schwester sein. Bruder und Schwester!
Nur der König kann so etwas tun. Wenn normale Menschen so etwas täten, würde man sie für verrückt halten. Aber da er der König ist, darf niemand von Verrücktheit sprechen, und nicht einmal die Königin (oder was auch immer sie jetzt ist) darf so etwas sagen. Wir alle nicken nur und sagen: »Oh ja, Euer Majestät«, und heute Abend kommt er zum Dinner bei Großmama und mir, und er wird mir einen Heiratsantrag machen, und ich werde sagen: »Oh ja, Euer Majestät, ich fühle mich geehrt.« Auf keinen Fall werde ich sagen, dass das ja verrückt ist, das Werk eines Verrückten - ja, die Welt selbst ist verrückt, dass sie sich nicht gegen ihn wendet.
Denn ich bin gewiss nicht verrückt. Ich mag zwar sehr dumm und sehr unwissend sein (aber immerhin lerne ich Französisch: Voilà!), aber wenn ich vor dem Erzbischof stehe und mein Jawort gebe, dann denke ich nicht, dass dieses Wort sechs Monate später plötzlich nicht mehr gilt. Ich verstehe jedoch sehr gut, dass ich in einer Welt lebe, die von einem Verrückten regiert und von seinen Launen beherrscht wird. Außerdem ist er der König und das Oberhaupt der Kirche, und Gott spricht durch ihn - wenn er also sagt, dass etwas so ist und nicht anders, wer wollte ihm da widersprechen?
Ich jedenfalls nicht. Ich jedenfalls kann denken (wenn man mir auch ständig versichert, dass ich die heilige Einfalt bin) und habe meine eigenen dummen Gedanken in - wie hat sie noch gesagt? - »einem Kopf, der nur einen Unsinnsgedanken auf einmal haben kann«, und ich weiß mit Sicherheit, dass der König verrückt ist, dass die Welt verrückt ist. Die Königin soll von nun an als seine Schwester gelten, und ich werde seine Frau sein und die neue Königin. Ich werde Königin von England sein, ich, Kitty Howard, soll den König von England heiraten und seine Königin werden. Voilà, in der Tat.
Ich kann nicht glauben, dass es wahr ist. Und ich wünschte, jemand hätte mal an Folgendes gedacht: Was springt dabei eigentlich wirklich für mich heraus? Denn ich habe gründlich darüber nachgedacht. Was sollte ihn davon abhalten, eines schönen Morgens aufzuwachen und plötzlich zu behaupten, dass auch ich vorher verlobt war und dass unsere königliche Ehe nicht gültig ist? Oder dass ich eine untreue Ehefrau bin, der man besser den Kopf abschlägt? Was sollte ihn daran hindern, sich in eine meiner törichten Ehrenjungfern zu verlieben und mich durch sie zu ersetzen?
Genau - das ist es! Ich glaube nicht, dass jemand außer mir schon mal daran gedacht hat. Genau - es gibt nichts, was ihn davon abhalten könnte. Und diese Leute (Leute wie Großmama, die stets so freigebig ist mit ihrer Schelte und ihren Kopfnüssen), die behaupten, was für eine unglaubliche Ehre das sei und was für ein Aufstieg für eine Närrin wie mich, diese Leute sollten mal darüber nachdenken, dass ein Narr zwar erhöht, aber ebenso auch wieder hinabgestoßen werden kann - und wer wird mich dann auffangen?
A NNA VON K LEVE , R ICHMOND , 12. J ULI 1540
Ich habe schriftlich mein Einverständnis mit den Ergebnissen der Untersuchung erklärt, und sie alle können es bezeugen: die hohen Herren, die herkamen, um mit mir zu verhandeln, und die Hofdamen, die ich meine Freundinnen nannte, als ich Königin von England war. Ich habe zugegeben, dass ich durch einen früheren Ehekontrakt gebunden war und nicht frei für eine Ehe, und ich habe mich sogar entschuldigt.
Dies ist wahrlich eine schwarze Nacht für mich in diesem Lande, eine Nacht, wie ich sie noch nie erlebt habe. Ich werde nicht mehr Königin sein. Ich kann entweder in England bleiben und auf die wankelmütige Huld des
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