Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
ich zu hoffen, dass sie Anna verschonen werden. »Will er sie einfach nur loswerden?«, frage ich. »Beschuldigt er sie nicht mehr, ihm die Manneskraft genommen zu haben?«
»Wenn sie ihm die Trennung erschwert, dann wird er sich ihrer entledigen, wenn nötig auf dem Schafott. Eure heutige Aussage kann ebenso gut dazu dienen, sie als höchst betrügerische und raffinierte Hexe darzustellen.«
Ich schnappe nach Luft. »An welcher Stelle habe ich sie denn als Hexe beschuldigt?«
»In Eurer Aussage steht, sie wüsste, dass er ohne Manneskraft ist. Andererseits jedoch hat sie in ihren Gemächern mit ihren eigenen Hofdamen so getan, als wisse sie nichts über die normalen Vorgänge in der Ehe. Wie Ihr selbst gesagt habt: Wer soll das glauben? Welche Frau, die einen König heiratet, ist denn so unwissend? Es liegt auf der Hand, dass sie lügt, also ist eine Verschwörung im Gange. Und sie ist eindeutig eine Hexe.«
»Aber ... aber ... ich dachte, unsere Aussage sollte ihre Unschuld beweisen?«, stammele ich. »Dass sie eine unwissende Jungfrau ist?«
»Genau.« Nun erlaubt er sich den Schimmer eines Lächelns. »Das ist ja das Schöne daran! Ihr drei, hoch angesehene Hofdamen der Königin, habt eine beeidete Aussage abgegeben, in der sie entweder so unschuldig erscheint wie die Jungfrau Maria oder als Ausbund an Raffinesse wie die Hexe Hekate. Diese Aussage kann je nachdem ausgelegt werden, wie der König es braucht. Ihr habt gute Arbeit verrichtet, Jane Boleyn. Ich bin sehr zufrieden.«
Wie benommen gehe ich zur Barke. Es gibt nichts mehr zu sagen. Schon einmal hat er mir meine Schritte diktiert, und vielleicht hätte ich damals lieber auf meinen Gemahl George hören sollen statt auf seinen Onkel. Lebte George noch, dann würde er mir vielleicht raten, heimlich zur Königin zu gehen und ihr die schleunige Flucht zu empfehlen. Vermutlich würde George sagen, dass Liebe und Treue mehr zählen als der Aufstieg bei Hofe. Vielleicht würde er sagen, dass es wichtiger sei, zu denen zu halten, die man liebt, statt es dem König recht zu machen. Aber George ist ja nicht mehr bei mir.
Wir werden nach Richmond zurückgebracht. Die Flut trägt uns rasch vorwärts. Ich wünschte, die Barke würde langsamer fahren und uns nicht so rasch zu dem Schloss bringen, wo sie mit totenbleichem Gesicht nach uns Ausschau hält.
»Was haben wir nur getan?«, fragt Catherine Edgecombe traurig. Sie schaut nach vorn auf die schönen Türme von Richmond, wohl wissend, dass wir nun Königin Annas fragendem Blick gegenübertreten müssen.
»Wir haben getan, was wir tun mussten. Vielleicht haben wir ihr das Leben gerettet«, sage ich.
»So wie Ihr Eurer Schwägerin das Leben gerettet habt? Oder Eurem Gemahl?«, fragt sie voller Bosheit.
Ich wende den Kopf ab. »Darüber spreche ich nicht«, sage ich. »Ich denke nicht einmal daran.«
A NNA VON K LEVE , R ICHMOND , 8. J ULI 1540
Heute ist der zweite Tag der Untersuchung, mittels derer sie herausfinden wollen, ob meine Ehe mit dem König rechtmäßig ist oder nicht. Wäre ich nicht so niedergeschlagen, dann könnte ich mich schieflachen über diese würdigen Herren, die sich feierlich versammeln, um das Beweismaterial durchzugehen, das sie selbst fabriziert haben. Wir alle wissen ja schon, wie das Ergebnis aussehen wird. Der König hat seine Geistlichen nicht zusammengerufen, damit sie ihm erzählen, er sei von Begierde nach einem hübschen Frätzchen entflammt und solle auf die Knie fallen und um Vergebung für seine Sünden bitten. Er hat sie nicht zusammengerufen, um seine Ehe mit mir bestätigen zu lassen. Er hat sie zusammengerufen, damit sie ihre Pflicht tun und das Urteil sprechen, dass ich bereits durch einen Ehekontrakt gebunden und nicht frei war zu heiraten, dass unsere Ehe folglich aufgehoben wird. Ich muss noch dankbar sein, dass man mir auf diese Weise einen Ausweg bietet: Es hätte sehr viel schlimmer kommen können, etwa, wenn er beschlossen hätte, mich wegen Fehlverhaltens beiseitezuschaffen - denn auch dafür hätten sie Beweise gefunden und mich verurteilt.
Eine Barke ohne Standarte legt am großen Landungssteg an, und bevor noch die Taue festgebunden sind, sehe ich des Königs Boten Richard Beard an Land springen. Leichtfüßig läuft er über den Steg, schaut zum Schloss empor und entdeckt mich. Er hebt eine Hand und kommt flotten Schrittes über den Rasen auf mich zu. Er ist ein viel beschäftigter Mann, stets in Eile. Langsam gehe ich ihm entgegen. Ich weiß,
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