Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
kein Zweifel, dass sie das Land in einer Machtprobe zwischen sich aufreiben werden. Der Tudor-Friede wird so enden, wie er begonnen hat, in einem Krieg zwischen den großen Familien um das Königreich. Der König fürchtet auch um die Zukunft des Glaubens. Die Howards sind entschlossene Anhänger der alten Religion und werden sich wieder Rom annähern. Cranmer jedoch hat die Autorität der Kirche hinter sich und wird um Reformen kämpfen.«
Nachdenklich knabbere ich an meinen Fingernägeln. »Fürchtet der König immer noch eine Verschwörung, die seinen Sturz zum Ziel hat?«
»Es heißt, dass sich der Norden wieder einmal erhebt, um den alten Glauben zu verteidigen. Der König fürchtet, dass die Heere wieder vorrücken, dass sich der Aufstand ausbreitet. Er glaubt, allerorten erhöben sich die Papisten, um zur Rebellion gegen ihn aufzurufen.«
»Und inwieweit bin ich davon betroffen? Gegen mich wird er sich doch nicht wenden?«
Sein müdes Gesicht verzieht sich schmerzlich. »Doch, das wäre durchaus möglich. Er fürchtet die Lutheraner ebenso wie die Papisten.«
»Aber jeder weiß doch, dass ich mich getreu an die Riten der königlichen Kirche halte!«, protestiere ich. »Ich tue alles, um zu zeigen, dass ich mit den Anweisungen des Königs konform gehe.«
»Ihr seid als protestantische Prinzessin in dieses Land gekommen«, macht er geltend. »Und der Mann, der Euch holen ließ, hat dafür mit seinem Leben bezahlt. Das macht mir Angst.«
»Was können wir tun?«, frage ich.
»Ich werde den König im Auge behalten«, erwidert er. »Solange er gegen die Papisten zu Felde zieht, sind wir relativ sicher, doch wenn er sich gegen die Reformisten wendet, dann müssen wir Mittel bereitstellen, die uns nötigenfalls die Heimreise ermöglichen.«
Ich schaudere ein wenig, weil ich an die wahnsinnige Tyrannei meines Bruders denke, die der des Königs kaum nachsteht. »Dort habe ich keine Heimat mehr.«
»Vielleicht habt Ihr auch hier keine mehr.«
»Der König hat mir Sicherheit versprochen«, betone ich.
»Er hat Euch auch einst den Thron versprochen«, entgegnet mein Gesandter ironisch. »Und wer sitzt jetzt darauf?«
»Ich beneide sie nicht.« Ich denke an Katherines Ehemann, wie er über zugefügte Beleidigungen brütet, während er durch seine schwärende Wunde ans Krankenbett gefesselt ist, wie er seine Feinde zählt und Schuld zumisst. Und sein Fieber steigt, und sein Gerechtigkeitssinn wird immer schwächer ...
»Ich könnte mir vorstellen, dass keine Frau der Welt sie beneidet«, erwidert mein Botschafter.
J ANE B OLEYN , H AMPTON C OURT , A PRIL 1541
»Was ist eigentlich genau mit Anne Boleyn passiert?«
Mit dieser neugierigen Frage erschreckt mich die Kind-Königin eines schönen Aprilmorgens, als wir gerade aus der Kapelle kommen. Der König war wie immer nicht anwesend. Wenigstens dieses eine Mal hatte sie nicht über den Rand der Loge gespäht, um Culpepper zu sehen. Sie hatte sogar während des Gebetes die Augen geschlossen, als bete sie besonders andächtig. Und nun das ...
»Sie wurde des Hochverrats angeklagt«, sage ich kühl. »Das habt Ihr doch sicher gewusst?«
»Ja, aber warum? Warum genau? Was war geschehen?«
»Ihr solltet Eure Großmutter fragen oder den Herzog«, schlage ich vor.
»Wart Ihr nicht auch dabei?«
Ob ich dabei war? War ich nicht jede quälende Sekunde des Prozesses dabei? »Ja, ich war damals bei Hofe«, sage ich.
»Und erinnert Ihr Euch nicht?«
So deutlich, als wäre es mit einem Messer in meine Haut geritzt. »Oh sicher, ich erinnere mich. Aber ich rede nicht gern darüber. Warum wollt Ihr unbedingt etwas über die Vergangenheit wissen? Sie hat keine Bedeutung mehr.«
»Aber es ist doch kein Geheimnis, oder?«, drängt sie. »Da ist doch nichts, weswegen man sich schämen müsste?«
Ich schlucke, so trocken ist meine Kehle geworden. »Nein, nichts. Aber es kostete mich meine Schwägerin und meinen Ehemann und unseren guten Namen.«
»Warum haben sie Euren Ehemann hingerichtet?«
»Er wurde gemeinsam mit ihr und anderen Männern des Hochverrats bezichtigt.«
»Ich dachte, die anderen Männer wären des Ehebruchs mit ihr bezichtigt worden?«
»Das ist dasselbe«, sage ich kurz angebunden. »Wenn sich die Königin einen Liebhaber nimmt, bedeutet dies Hochverrat am König. Versteht Ihr? Können wir jetzt von etwas anderem sprechen?«
»Warum haben sie denn ihren Bruder, Euren Gemahl, hingerichtet?«
Ich knirsche mit den Zähnen. »Sie wurden
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