Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Zofe. Ich war dabei, als sie sie abholten und als sie in den Tod ging.«
Ich schaue dieses Mädchen an, diese Cousine, die in meinem Alter ist, aus meiner Familie. »Ihr wart auch im Tower?«, wispere ich.
Sie nickt. »Sobald es vorbei war, kam mein Stiefvater und holte mich ab. Meine Mutter schwor, dass wir nie mehr an den Hof gehen würden.« Sie lächelt, dann zuckt sie die Achseln. »Doch hier bin ich«, sagt sie fröhlich. »Wie mein Stiefvater immer sagt: Wohin soll ein Mädchen sonst gehen?«
»Ihr wart im Tower?« Ich werde die Vorstellung nicht los.
»Ich habe gehört, wie ihr Schafott errichtet wurde«, erzählt sie ernst. »Ich habe mit ihr gebetet. Ich habe sie auf ihrem letzten Gang begleitet. Es war furchtbar. Es war wirklich furchtbar. Selbst jetzt denke ich nur mit Schaudern daran.« Sie wendet das Gesicht ab und schließt kurz die Augen. »Es war furchtbar«, wiederholt sie. »Es ist so ein schrecklicher Tod.«
»Sie war des Hochverrats schuldig«, flüstere ich.
»Sie wurde vom Gericht des Königs des Hochverrats beschuldigt«, berichtigt sie mich, aber ich kann da keinen Unterschied sehen.
»Also war sie schuldig.«
Wieder zuckt sie leicht die Achseln. »Nun, wie dem auch sei, es ist lange her, und ob sie nun schuldig war oder nicht, sie wurde auf Befehl des Königs hingerichtet, und sie starb als gute Christin, und nun ist sie tot.«
»Dann muss sie des Hochverrats schuldig gewesen sein. Der König würde doch keine Unschuldige hinrichten lassen!«
Sie neigt den Kopf, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen kann. »Wie Ihr sagt, der König ist keines Irrtums fähig.«
»Glaubt Ihr denn, dass sie unschuldig war?«, flüstere ich.
»Ich weiß, dass sie keine Hexe war. Ich weiß, dass sie nicht des Verrats schuldig war, und ich bin sicher, dass sie mit diesen Männern keinen Ehebruch begangen hatte«, erklärt Catherine mit fester Stimme. »Aber dennoch widerspreche ich dem König nicht. Seine Gnaden muss es am besten wissen.«
»Hatte sie große Angst?«, flüstere ich.
»Ja.«
Mehr, so scheint es, gibt es nicht zu sagen. Lady Rochford kommt ins Zimmer und betrachtet uns, wie wir die Köpfe zusammenstecken. »Was tut Ihr da, Catherine?«, fragt sie ärgerlich.
Catherine schaut auf. »Ich sortiere Stickseide für Ihre Gnaden«, erwidert sie.
Lady Rochford sieht mich vorwurfsvoll an. Sie weiß, dass ich wohl kaum vorhabe, die Nadel zu schwingen. »Legt sie vorsichtig in die Schachtel zurück, wenn Ihr fertig seid«, sagt sie und geht wieder hinaus.
»Aber sie wurde doch nicht angeklagt«, flüstere ich in Richtung Tür, durch die ihre Ladyschaft gerade das Zimmer verlassen hat. »Und Eure Mutter wurde auch nicht angeklagt. Nur George.«
»Meine Mutter war damals erst kurz bei Hofe.« Catherine macht sich daran, die Seidenbändchen aufzusammeln. »Und sie war eine frühere Favoritin des Königs. Lady Rochford wurde nicht angeklagt, weil sie gegen ihren Ehemann und die Königin aussagte. Sie hätten die beiden ohne diese Hauptzeugin niemals anklagen können.«
»Was?!« Ich bin so überrascht, dass ich einen leisen Schrei ausstoße, und Catherine schaut rasch zur Tür, als fürchte sie, jemand könnte uns hören. »Sie hat ihren eigenen Ehemann und ihre Schwägerin verraten?«
Sie nickt. »Es ist lange her«, wiederholt sie. »Meine Mutter sagt immer, dass es nichts taugt, über alte Fehler zu grübeln.«
»Aber wie kommt es, dass mein Onkel so viel Vertrauen zu Lady Rochford hat? Wenn sie ihren eigenen Ehemann und die Königin verraten hat?«
Meine Cousine Catherine erhebt sich und legt die Seidenbänder in die Schachtel zurück. »Meine Mutter hat mir befohlen, niemandem bei Hofe zu trauen«, sagt sie als Antwort. »Und vor allem nicht Lady Rochford.«
Diese Gespräche geben mir einiges zu denken. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das gewesen sein mag, vor so langer Zeit. Ich kann mir nicht vorstellen, wie der König ausgesehen hat, als er noch jung war, ein gesunder Mann, vielleicht so hübsch und begehrenswert wie Thomas Culpepper jetzt. Und wie war es wohl für Königin Anne, meine Cousine, die bewundert wurde, so wie ich jetzt bewundert werde, die von Höflingen umgeben war, so wie ich es bin, und die sich Jane Boleyn anvertraute, so wie ich es jetzt tue.
Ich frage mich, was das alles für mich bedeutet. Wie Catherine sagte, war es vor langer Zeit, und alle haben sich verändert. Ich darf mich nicht von diesen traurigen alten Geschichten verfolgen lassen. Anne Boleyn ist schon
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