Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Schein von Anstand gewahrt bliebe, aber aus der Art, wie die Königin Culpeppers Arm hielt, wie sie plauderte und lachte, war für jeden ersichtlich, dass sie seine Gesellschaft genoss und ihren Ehemann, der krank in seiner verdunkelten Kammer lag, vollkommen vergessen hatte.
Mein Gebieter, der Herzog, wirft mir beim Dinner einen langen, mahnenden Blick zu, sagt aber nichts, und ich weiß, dass er von mir erwartet, unsere kleine Stute bespringen zu lassen, damit sie trächtig wird. Ein Sohn würde den König aus seiner Melancholie erlösen und den Howards auf ewig die Krone sichern. Dieses Mal müssen wir es schaffen. Keine Familie hat zweimal die Möglichkeit gehabt, solch einen Preis zu erringen. Wir dürfen nicht ein zweites Mal versagen.
Aus gekränkter Eitelkeit befiehlt Katherine den Musikern, in ihren Gemächern zum Tanz aufzuspielen, und vergnügt sich mit ihren Hofdamen und Zofen. Doch viel Spaß macht das nicht, deshalb laufen zwei der wildesten Mädchen, Joan und Agnes, in die Große Halle und laden ein paar Höflinge zu dem Ball ein. Als ich das sehe, schicke ich einen Pagen zu Thomas Culpepper, um zu sehen, ob er töricht genug ist, der Einladung zu folgen. Und er nimmt an.
Ich behalte die Königin im Auge, als er hereinkommt. Ich sehe, wie ihr die Röte ins Gesicht steigt und wie sie sich rasch abwendet und mit der kleinen Catherine Carey plaudert. Sie ist schlechterdings vernarrt in ihn, und einen Moment lang sehe ich sie nicht als Bauer in unserem gefährlichen Spiel, sondern als Mädchen, als junges Mädchen, das dabei ist, sich zum ersten Mal in seinem Leben zu verlieben. Die kleine Kitty Howard ist verwirrt: Sie stammelt, sie errötet wie eine Rose und denkt endlich einmal an einen anderen Menschen als an sich selbst, kurz, sie reift vom Mädchen zur Frau. Es wäre äußerst rührend - wenn sie nicht die Königin von England wäre und eine Howard, die eine Aufgabe zu erfüllen hat.
Thomas Culpepper gesellt sich zu den Tänzern und wählt geschickt einen Platz, um bei der Paarbildung an die Seite der Königin zu gelangen. Sie schaut zu Boden, um ihr Lächeln zu verbergen und Sittsamkeit zu heucheln, aber als sie im Tanz zusammenkommen und einander die Hand reichen, schlägt sie ihre Augen zu ihm auf, und die beiden schauen einander mit unverhohlenem Begehren an.
Ich sehe mich um, niemandem sonst scheint es aufgefallen zu sein, und tatsächlich macht die Hälfte der Hofdamen dem einen oder anderen jungen Mann schöne Augen. Ich werfe Lady Rutland quer durch das Zimmer einen Blick zu und hebe die Augenbrauen, und sie nickt und geht sogleich zur Königin und flüstert ihr zu. Katherine macht ein Gesicht wie ein enttäuschtes Kind, dann wendet sie sich an die Musiker. »Dies muss der letzte Tanz sein«, sagt sie verdrießlich. Aber dann dreht sie sich um, und ihre Hand sucht, fast ohne dass sie sich dessen bewusst ist, Thomas Culpepper.
K ATHERINE , H AMPTON C OURT , M ÄRZ 1541
Ich sehe ihn nun jeden Tag, und jedes Mal sind wir ein bisschen kühner. Der König hat seine Gemächer immer noch nicht verlassen, und sein Ratgeberkreis aus Apothekern und Ärzten und alten Männern kommt höchst selten in meine Gemächer, sodass wir jungen Leute Ruhe vor ihnen haben. Am Hofe ist es ruhig, es gibt keinen Tanz und keine Lustbarkeiten, und da Fastenzeit ist, darf ich noch nicht einmal in meinen Gemächern einen Ball im intimen Kreis veranstalten. Wir dürfen nicht ausreiten, wir dürfen nicht Boot fahren, keine Spiele machen und auch sonst nichts Nettes tun. Aber wir dürfen im Garten lustwandeln oder uns nach der Messe an der Themse ergehen, und wenn ich spazieren gehe, ist Thomas Culpepper stets an meiner Seite, und ich ginge jederzeit lieber mit ihm spazieren, als in meinem besten Kleid mit einem Prinzen zu tanzen.
»Ist Euch kalt?«, fragt er.
Wohl kaum, ich bin ja in meinen Zobel gehüllt, aber ich schaue zu ihm auf und sage: »Ein bisschen.«
»Lasst mich Eure Hand wärmen«, sagt er und nimmt meine Hand unter seinen Arm, presst sie gegen seine Jacke. Ich möchte sie so gern aufknöpfen und meine Hände hineinstecken. Ich stelle mir vor, dass sein Bauch glatt und hart und seine Brust mit seidigen, weichen Haaren bedeckt ist. Diese Vorstellung ist umso erregender, weil ich es ja nicht weiß. Immerhin kenne ich nun seinen Geruch, ich würde ihn jederzeit daran erkennen. Es ist ein warmer Geruch, wie der Duft von guten Kerzen. Er verbrennt mich innerlich.
»Ist es so besser?«, fragt er
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