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Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Titel: Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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A NNA , R ICHMOND -P ALAST , N OVEMBER 1541
 
    Ich trete in die Kirche ein, schlage das Kreuzzeichen, mache vor dem Altar einen Knicks und begebe mich in meinen Kirchenstuhl. Zum Glück bin ich hier ungestört: Hohe Wände umschließen mich, und selbst die Front des Kirchenstuhls ist mit einem Gitter verkleidet, sodass ich sehen kann, aber nicht gesehen werde. Nur der Priester könnte mich von der Kanzel aus erblicken. Sollte ich dem Gottesdienst nicht aufmerksam folgen, mich nicht zur rechten Zeit bekreuzigen oder die Reihenfolge der Gebetsverse nicht einhalten, dann kann mich niemand der Ketzerei zeihen. Tausende in diesem Land müssen jede ihrer Bewegungen genauestens überwachen, weil sie nicht einen solchen Kirchenstuhl besitzen. Und Hunderte müssen sterben, weil sie bei einer falschen Geste, einem falschen Wort ertappt worden sind.
    Ich stehe auf, und ich verneige mich, und ich knie, und ich sitze, so wie der Ablauf der Messe es verlangt; aber ich kann der Predigt heute wenig abgewinnen. Es ist die Liturgie, die der König verlangt, und in jedem der endlosen Sätze höre ich die Macht Heinrichs und nicht die Macht Gottes. Früher bin ich Gott an vielen Stätten begegnet: in den schlichten lutheranischen Kapellen meiner Heimat, in der emporstrebenden Majestät von St. Paul's in London und in der Stille der königlichen Kapelle von Hampton Court, wo ich neben Prinzessin Maria kniete und spürte, wie sich der himmlische Frieden auf uns senkte - aber nun hat der König mir und vielen anderen die Kirche vergällt. Wenn ich Gott suche, dann finde ich ihn heutzutage in der Stille: beim Gang im Park oder am Fluss, im Gesang einer Amsel um die Mittagszeit, im Flug einer Gänseschar am Himmel, im Flug eines Jagdfalken, der sich in die Lüfte emporschwingt. Gott spricht nicht mehr zu mir, wenn Heinrich die Worte wählt. Ich verstecke mich vor dem König und bin taub für die Worte seines Gottes.
    Wir knien gerade und beten für die Gesundheit und das Wohlergehen der königlichen Familie, als zu meinem Erstaunen ein neuer Ton in das vertraute Gebet eingeflochten wird. Ohne auch nur im Geringsten verlegen zu werden, fordert der Priester meine Höflinge, meine Damen und mich auf, Gott zu danken für des Königs Eheweib, für Katherine.
    »Wir danken Dir, oh Herr, für Deine unendliche Güte. Nach so vielen Unglücksfällen, welche die Ehen des Königs befielen, hast Du ihm nun eine Frau an die Seite gegeben, die vollkommen seinen Neigungen entspricht.«
    Ich kann nicht anders: Mein Kopf, den ich demütig gesenkt hatte, fährt hoch, und ich ziehe den überraschten Blick des Priesters auf mich. Er hält ein offizielles Dokument in der Hand, aus dem er diese Eloge auf die Gemahlin des Königs vorträgt; es soll klingen wie ein neues Gesetz. In seinem Wahn hat Heinrich jeder Gemeinde in England befohlen, nach den vielen »Unglücksfällen« nun Gott dafür zu danken, dass er endlich eine Ehefrau gefunden hat, die seinen Neigungen entspricht. Ich bin über die Wortwahl, die unpassende Gefühlsduselei und die Tatsache, dass ich dieser Beleidigung auf Knien lauschen muss, so empört, dass ich mich halb erhebe, um zu protestieren.
    Sogleich fasst eine entschlossene Hand meinen Rock und zieht mich zurück. Ich taumele kurz und falle wieder auf die Knie. Lotte, meine Dolmetscherin, lächelt mir kaum merklich zu, dann faltet sie die Hände - ein Bild der Demut! - und schließt die Augen. Ihre Geste bringt mich wieder zur Vernunft. Dieses Dankgebet ist natürlich eine Beleidigung und eine grobe Gedankenlosigkeit, aber darauf zu reagieren bedeutet, sich in die größte Gefahr zu begeben. Wenn der König will, dass ich auf die Knie falle und mich selbst als »Unglücksfall« tituliere, dann steht es mir nicht zu, darauf hinzuweisen, dass unsere Ehe beileibe kein Unglücksfall war, sondern eine sorgfältig geplante, mit einem Kontrakt untermauerte Partie, und er brach sie allein aus dem Grunde, weil er eine andere Frau bevorzugte. Es steht mir nicht zu, darauf hinzuweisen, dass eigentlich er als Ehebrecher oder Bigamist bezeichnet werden sollte, da unsere Ehe gültig war und er nun mit einer zweiten Frau in Sünde lebt. Es steht mir nicht zu, darauf hinzuweisen, dass die kleine, leichtsinnige Kitty Howard - wenn sie denn die einzige Frau ist, die jemals seinen Neigungen entsprach - entweder die beste Schauspielerin der Welt sein muss oder er mit dem Alter so verblendet wird, dass er ein blutjunges Mädchen heiraten

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