Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
sagt er entschieden. »Sobald ich merke, dass die Flut sich gegen uns wendet, müssen wir in der Lage sein, das Land zu verlassen.«
»Er wird die Häfen schließen«, warne ich. »Das hat er letztes Mal auch getan.«
»Diesmal lassen wir uns nicht einsperren. Ich werde einen Fischer anheuern, der uns mit seinem Boot außer Landes bringt«, sagt mein Botschafter. »Wir wissen jetzt, wozu er fähig ist. Wir wissen, zu welchen Maßnahmen er greift. Wir werden fort sein, bevor er überhaupt den Haftbefehl ausgefertigt hat.«
Ich werfe einen Blick auf die geschlossene Tür. »Bestimmt gibt es auch hier einen Spitzel, der von Eurem Besuch weiß«, sage ich. »So wie wir einen Spitzel bei Hofe haben, gibt es auch hier jemanden, der mich beobachtet.«
»Ich weiß bereits, wer der Spitzel ist«, sagt Dr. Harst stillvergnügt. »Und er wird von meinem Besuch berichten, mehr aber auch nicht. Denn er arbeitet jetzt für mich. Ich glaube, wir sind sicher.«
»So sicher wie eine Maus auf dem Schafott«, sage ich bitter. Er nickt. »Wenn nur die Axt einen anderen trifft.«
Ich erschauere. »Wer verdient so etwas? Weder ich noch die kleine Kitty Howard! Wir haben doch nichts anderes getan, als auf Geheiß unserer Familie zu heiraten!«
»Wenn Ihr entkommt, dann habe ich meine Pflicht erfüllt«, sagt Dr. Harst. »Die Königin muss sich, wenn sie Hilfe braucht, an ihre eigenen Freunde wenden.«
K ATHERINE , H AMPTON C OURT , N OVEMBER 1541
Mal überlegen: Was habe ich jetzt?
Überraschung! Ich habe keine Freunde, und ich dachte, ich hätte Dutzende.
Ich habe keine Liebhaber, und ich dachte, ich würde von ihnen umlagert.
Ich habe, wie sich herausstellt, nicht einmal eine Familie, denn alle haben sich von mir abgewandt.
Ich habe keinen Ehemann, denn er will mich nicht sehen, und ich habe nicht einmal einen Beichtvater, denn der Erzbischof ist zu meinem persönlichen Inquisitor geworden. Alle sind so böse zu mir, und es ist so ungerecht, mir fällt dazu nichts mehr ein. Sie kamen, als ich mit meinen Damen tanzte, und sagten, auf Befehl des Königs dürfe ich meine Gemächer nicht verlassen.
Ich glaubte zuerst, dass es sich um ein Maskenspiel handele. (Ich bin ja so dumm, Großmutter hatte recht, als sie sagte, ein dümmeres Kind als ich müsse erst noch geboren werden.) Bald würde ein Maskierter kommen und mich entführen, und dann erschiene mein Retter, und dann gäbe es einen Zweikampf oder sonst etwas Amüsantes. Am Sonntag erst hatte das ganze Volk ein Dankgebet für mich gesprochen, deshalb hatte ich am Tage danach eine Art Feier erwartet. Also wartete ich brav in meinen Gemächern. Ich wartete auf meinen fahrenden Ritter, eine Kavalkade in meinem Garten oder etwas Aufwändigeres, einen Belagerungssturm vor meinem Fenster vielleicht. »Das wird bestimmt ein Heidenspaß!«, sagte ich zu meinen Hofdamen. Aber wir warteten den ganzen Tag, und obwohl ich mein bestes Kleid anzog, um für alles gerüstet zu sein, ereignete sich nichts. Und dann trat Erzbischof Cranmer in meine Gemächer ein und sagte, dass die Zeit des Tanzens nun vorüber sei.
Oh, er kann so entsetzlich sein! Er sieht immer so ernst aus, als ob man einen schrecklichen Fehler gemacht hätte. Und dann fängt er an, mich über Francis Dereham auszufragen! Francis Dereham, ausgerechnet, den ich nur auf Drängen meiner ehrbaren Großmutter in meine Dienste aufgenommen habe! Als ob es meine Schuld wäre! Und nur, weil so ein kleiner, erbärmlicher Ohrenbläser dem Erzbischof gesteckt hat, dass wir in Lambeth eine Liebschaft hatten. Als ob das jetzt noch jemanden interessierte! Wenn ich Erzbischof wäre, dann würde ich aber versuchen, über solches Gerede erhaben zu sein.
Ich antworte also, dass das alles höchst unwahr ist, und wenn sie mich nur mit dem König sprechen ließen, dann könnte ich ihn ganz leicht davon überzeugen, keiner dieser Bezichtigungen Glauben zu schenken. Doch daraufhin jagt Mylord Cranmer mir wirklich Angst ein, denn er sagt mit Donnerstimme: »Genau deshalb, Madam, sollt Ihr Seine Gnaden nicht sehen, bis Euer Name von jedem Verdacht gereinigt ist. Wir werden die Umstände restlos aufklären, bis wir jegliche Verleumdung Eurer Gnaden ausgemerzt haben.«
Ich sage nichts darauf, weil ich genau weiß, dass mein Name nicht von jedem Verdacht gereinigt werden kann, dazu ist es zu spät ... Aber meine Liebschaft in Lambeth war doch eine private Angelegenheit zwischen einem Mädchen und einem jungen Mann, und wen interessiert
Weitere Kostenlose Bücher