Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
muss, das seine Tochter sein könnte.
Heinrich ist wahnsinnig, er ist in dieses Mädchen vernarrt wie ein seniler Trottel und hat soeben seinem ganzen Volk befohlen, Gott für seinen Wahn auch noch zu danken. In allen Kirchen landauf, landab werden die Menschen sich auf die Lippen beißen, um ein Grinsen zu unterdrücken, und ehrliche Männer werden fluchen, weil sie solchen Unsinn beten müssen. »Amen«, sage ich laut, und als wir uns erheben, um den Segen zu empfangen, zeige ich dem Priester ein heiteres und frommes Gesicht. Mein einziger Gedanke beim Verlassen der Kirche gilt der armen Prinzessin Maria auf Schloss Hunsdon, die vor Empörung kochen wird. Hoffentlich ist sie vernünftig und schweigt. Es scheint, dass uns in allem, was den König angeht, nur der Part der schweigenden Zustimmung bleibt.
Am Dienstag ruft eine meiner Damen, die gerade aus dem Fenster schaut: »Da kommt der Botschafter, er ist eben aus dem Boot gestiegen und läuft durch den Garten. Was kann denn nur geschehen sein?«
Ich erhebe mich. Dr. Harst sucht mich nie ohne vorherige Ankündigung auf. Am Hofe muss etwas passiert sein. Mein erster Gedanke gilt Elisabeth und Maria. Ich fürchte, dass einer von beiden etwas zugestoßen ist. Wenn Maria ihrem Vater bloß keine Vorhaltungen gemacht hat! »Bleibt hier«, sage ich zu meinen Damen, dann hülle ich mich in einen Schal und gehe meinem Botschafter entgegen.
Er betritt die Halle in dem Moment, als ich herunterkomme, und ich merke sofort, dass sich etwas Ernstes begeben hat.
»Was gibt es?«, frage ich in unserer Muttersprache.
Er schüttelt nur warnend den Kopf, und ich muss warten, bis die Dienstboten ihm Wein und Gebäck serviert haben und ich sie fortschicken kann. »Was ist passiert?«
»Ich bin gekommen, ohne alles erfahren zu haben, weil ich wollte, dass Ihr vorgewarnt seid«, sagt er.
»Vorgewarnt, wovor? Geht es nicht um Prinzessin Maria?«
»Nein. Es geht um die Königin.«
»Sie ist guter Hoffnung?«, frage ich, ohne düsteren Befürchtungen Raum zu geben.
Er schüttelt den Kopf. »Ich weiß nichts Genaues. Aber seit gestern wird sie in ihren Gemächern eingeschlossen. Und der König will sie nicht sehen.«
»Sie ist doch nicht krank? Er hat stets große Angst vor einer Pestepidemie.«
»Nein. Die Ärzte sind nicht gerufen worden.«
»Sie ist doch wohl nicht einer Verschwörung bezichtigt worden?« Nun spreche ich meine größte Angst doch aus.
»Ich sage Euch alles, was ich weiß, und das habe ich hauptsächlich von dem Spitzel, den wir in des Königs Gemächern platziert haben. Am Sonntag besuchten der König und die Königin die Messe, und der Priester sprach das Dankgebet für des Königs Ehe. Ihr werdet es kennen.«
»Durchaus.«
»Am Sonntagabend speiste der König allein, es sah aus, als würde er wieder erkranken. Er suchte die Königin nicht auf. Am Montag schloss er sich in seine Gemächer ein, und die Königin war in ihre eingesperrt. Heute hat Erzbischof Cranmer mit ihr gesprochen, und als er hinauskam, schwieg er.«
Ich schaue ihn groß an. »Sie war eingesperrt?«
Er nickt.
»Was, glaubt Ihr, hat das zu bedeuten?«
»Ich glaube, die Königin ist beschuldigt worden. Aber wie die Anklage lautet, wissen wir noch nicht. Wir müssen nun erwägen, ob ein Risiko besteht, dass Ihr mit hineingezogen werdet.«
»Ich?«
»Wenn sie beschuldigt wird, an einer papistischen Verschwörung beteiligt zu sein oder den König verhext zu haben, sodass er impotent wurde, dann werden sich die Menschen daran erinnern, dass auch Ihr einer papistischen Verschwörung bezichtigt wurdet und er bei Euch impotent war. Die Leute werden sich erinnern, dass Ihr mit ihr befreundet seid. Zu Weihnachten habt Ihr bei Hofe mit ihr getanzt, und als Ihr zu Beginn der Fastenzeit abgereist seid, wurde er krank. Die Leute könnten glauben, dass Ihr beide ein Komplott gegen ihn schmiedet.«
Ich strecke meine Hand aus, als wäre es möglich, auf diese Weise seine Worte abzuwehren. »Nein, nein.«
»Ich weiß, dass es nicht wahr ist. Aber wir müssen das Schlimmste in Betracht ziehen, das gegen Euch vorgebracht werden kann. Und wir müssen uns davor schützen. Soll ich Eurem Bruder schreiben?«
»Er würde mir nicht helfen«, sage ich mürrisch. »Ich stehe ganz allein da.«
»Dann müssen wir Vorsorge treffen«, sagt er. »Habt Ihr gute Pferde in Euren Ställen?«
Ich nicke. »Dann gebt mir Geld, und ich sorge dafür, dass auf dem ganzen Weg nach Dover weitere Pferde bereitstehen«,
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