Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
gemütlich in Norfolk leben können. Ich war doch schon einmal dem Scharfrichter entronnen, ich hatte mir meinen Titel und meine Rente bewahrt. Warum nur, warum hatte ich es so eilig, an den Hof zurückzukehren?
Ich hatte wirklich geglaubt, ich könnte ihn retten. Ich hatte wirklich geglaubt, wenn ich um seinetwillen alles gestünde, dann würden sie erkennen, dass sie die Hexe war, die Schuldige, die Ehebrecherin; sie würden erkennen, dass sie ihn eingefangen und versklavt hatte, und ihn freilassen. Dann hätte ich ihn mit nach Hause genommen, nach Rochford Hall. Ich hätte ihn wieder gesund gepflegt, und wir hätten vielleicht Kinder bekommen und wären glücklich geworden.
Das war mein Plan, so sollte es geschehen. Ich wähnte tatsächlich, sie werde auf dem Richtblock ihr Leben lassen, er jedoch werde verschont. Ich glaubte tatsächlich, ihr schöner Hals würde entzweigehackt werden, aber mein Mann würde wieder sicher in meinem Bett landen. Dann wollte ich ihn für seinen Verlust entschädigen, bis er allmählich einsehen würde, dass sie keinen großen Verlust darstellte.
Das stimmt nicht ganz.
Nicht so ganz.
Ich habe wohl gewünscht, dass er sterben sollte, aber kurz vor seinem Tode sollte ihm die Erkenntnis kommen: dass er besser daran getan hätte, sie zu verlassen, um mich zu lieben. Er sollte erkennen, dass ich immer ein treues Eheweib gewesen war, sie jedoch als Schwester nichts taugte. Ich glaube, damals habe ich gedacht: Und wenn er erst auf den Stufen zum Schafott zu der Erkenntnis gelangt, dass sie ihn betrog und benutzte, dann ist meine Aussage nicht umsonst gewesen.
Aber im Grunde glaubte ich nie, dass sie wirklich sterben würden, dass ich sie nie wiedersehen würde. Ich glaubte nie wirklich daran, dass sie aus dem Leben scheiden könnten, eines Tages nicht mehr da wären. Wer hätte sich das vorstellen können? Dass es einen Tag geben könnte, an dem sie nicht mehr durch die Tür spazieren würden, Arm in Arm, über einen ganz privaten Scherz lachend, ihre Hand auf seinem Arm, beide so sicher, so schön, so königlich. Das klügste, geistreichste, glänzendste Paar bei Hofe. Welche Frau hätte es ertragen, mit ihm verheiratet zu sein und die beiden so einträchtig beisammen zu sehen?
O Gott, ich hoffe, der Frühling kommt dieses Jahr zeitig, denn in dieser kleinen Zelle sind die dunklen Wintertage ein ewig währender Albtraum. Der Morgen graut nicht vor sechs, und die Sonne geht bereits um drei wieder unter. Manchmal vergessen sie, mir frische Kerzen zu geben, und ich muss am Kamin sitzen, um Licht zu haben. Ich friere unablässig. Wenn der Frühling dieses Jahr zeitig kommt und ich das Licht der Morgensonne golden über der steinernen Fensterbank schimmern sehe, dann werde ich die dunkelsten Tage überlebt haben. Nach meiner Einschätzung - und wer könnte den König besser kennen als ich? - wird er, falls er sie nicht bis Ostern hinrichten lässt, es später nicht mehr übers Herz bringen.
Wenn sie bis Ostern nicht enthauptet ist, dann werde auch ich davonkommen, denn warum sollte er sie verschonen und mich hinrichten? Wenn sie sich zusammennimmt und alles ableugnet, dann stehen die Chancen zum Überleben gut. Ich hoffe, jemand hat ihr geraten, die Affäre mit Culpepper abzuleugnen, hingegen aber zuzugeben, dass sie einst vor Gott Dereham zum Manne nahm. Wenn sie zugibt, Derehams Frau zu sein, dann hat sie nicht den König, sondern Dereham zum Hahnrei gemacht, und da dessen Kopf an der London Bridge aufgespießt ist, wird er wohl kaum Beschwerde einlegen. Ich könnte lachen, so offensichtlich ist dieser Ausweg. Aber wenn niemand es Katherine sagt, dann könnte sie zugrunde gehen, weil es ihr selbst niemals einfallen wird.
Lieber Gott, warum habe ich, die Verwandte der Anne Boleyn, jemals mit so einem Schwachkopf wie dem Hürchen Katherine Howard gemeinsame Sache gemacht?
Es war ein Fehler, auf den Herzog von Norfolk zu setzen, das sehe ich jetzt ein. Ich dachte, wir würden zusammenarbeiten, ich glaubte, er werde mir einen Ehemann verschaffen, eine gute Partie. Nun weiß ich, dass man diesem Manne kein Vertrauen schenken kann. Und ich hätte es vorher wissen sollen. Er hat mich benutzt, um Katherine im Zaum zu halten, und dann benutzte er mich erneut, um sie Culpepper vorzuwerfen. Und nun hat er sich aufs Land zurückgezogen, und seine eigene Stiefmutter, deren Sohn und seine Frau sitzen hier irgendwo im Tower und werden sterben, weil sie daran beteiligt waren, dem König eine Falle
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