Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
festsetzten. Ich lebe allein, ich verköstige nicht mehr Menschen, als recht und angemessen ist, meine Pacht wird eingenommen, und meine Rechnungen werden bezahlt. Soweit ich es beurteilen kann, sind meine Diener gehorsam und diszipliniert, wir gehen regelmäßig zur Kirche und beten gemäß den Glaubensregeln des Königs.«
»Dann habt Ihr nichts zu befürchten«, sagt er. Er betrachtet mein weißes Gesicht und lächelt. »Bitte, schaut nicht so ängstlich. Nur die Schuldigen sollten Furcht zeigen.«
Ich zwinge mich zu einem Lächeln, dann gehe ich zu meinem Stuhl und setze mich. Sein Blick fällt auf das Kruzifix am Boden und die vom Betstuhl gerissene Decke. Schockiert zieht er eine Augenbraue hoch.
»Habt Ihr das Kreuz unseres Herrn umgestoßen?«, flüstert er entsetzt.
»Es ist durch Zufall passiert.« Selbst in meinen Ohren klingt diese Erklärung dürftig. »Bitte heb es auf, Lotte.«
Er wechselt einen Blick mit dem anderen Mann, als seien dies bemerkenswerte Beweise. Dann verlassen beide das Zimmer.
K ATHERINE , K LOSTER S YON , W EIHNACHTEN 1541
Mal überlegen: Was habe ich jetzt?
Ich habe immer noch meine sechs Kleider und meine sechs Hauben. Ich habe zwei Zimmer mit Blick über den Garten, der sich bis zum Fluss erstreckt, und jetzt darf ich dort spazieren gehen, wenn ich möchte - aber ich möchte gar nicht, denn es ist furchtbar kalt und regnet andauernd. Ich habe einen schönen steinernen Kamin, und sie haben eine Menge Feuerholz für mich geschlagen, denn die Mauern sind sehr kalt, und wenn wir Ostwind haben, werden sie auch noch feucht. Mir tun die Nonnen leid, die ihr ganzes Leben an diesem Ort verbringen mussten, und ich bete zu Gott, dass ich bald freigelassen werde. Ich habe eine Bibelabschrift und das Gebetbuch. Ich habe ein Kruzifix (sehr einfach, nicht mit Edelsteinen besetzt) und eine Kniebank. Ich habe zwei Dienstmädchen, die mir nur sehr widerwillig dienen, und die Gesellschaft von Lady Baynton und zwei anderen Damen, die nachmittags bei mir sitzen. Keine von ihnen ist sehr unterhaltsam.
Ich glaube, das ist alles, was ich jetzt besitze.
Schlimmer wird es dadurch, dass wir bald Weihnachten haben, und ich liebe Weihnachten doch so! Letztes Jahr tanzte ich bei Hofe mit Königin Anna, und Heinrich lächelte mir zu, und ich hatte meine Anhänger mit den sechsundzwanzig Tafeldiamanten und meine Perlenkette, und Königin Anna schenkte mir das Pferd mit dem Prunkgeschirr aus violettem Samt. Jeden Abend tanzte ich mit Thomas, und Heinrich sagte, wir seien das hübscheste Paar auf der ganzen Welt. Thomas hielt am Weihnachtsabend um Mitternacht meine Hand, und als er mich auf die Wange küsste, flüsterte er: »Ihr seid wunderschön.«
Ich höre es immer noch, sein Flüstern: »Ihr seid wunderschön.« Nun ist er tot, sie haben seinen schönen Kopf von seinem Körper abgeschlagen. Und es mag ja sein, dass ich immer noch schön bin, aber ich habe keinen Spiegel, mit dem ich mich trösten könnte.
Vielleicht ist es töricht, so etwas zu sagen, aber mich wundert vor allem die Schnelligkeit, mit der sich so viele Dinge verändert haben. Vor einem Jahr erst, als ich frisch verheiratet und die schönste junge Königin der Welt war, haben wir dieses wunderbare Weihnachten gefeiert, und man schaue sich nur an, wo ich jetzt gelandet bin: in der schlimmsten Lage, in der ich mich je befunden habe. Ich glaube fest daran, dass ich nun die tiefste Weisheit erlernen werde, die aus dem Leiden entspringt. Ich war ein sehr törichtes junges Ding, aber nun bin ich zur Frau gereift. Wirklich, ich glaube, wenn ich morgen wieder Königin sein könnte, würde ich eine sehr gute Ehefrau abgeben. Da mein liebster Thomas tot ist, würde ich dem König wahrscheinlich treu sein.
Ich kann es kaum ertragen, daran zu denken, dass Thomas um meinetwillen gestorben ist! Mir vorzustellen, dass er einfach nicht mehr da sein soll, dass er fort ist ... Nie habe ich an den Tod gedacht, an dessen Endgültigkeit. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich Thomas nie mehr sehen werde. Fast könnte ich an den Himmel glauben, weil ich hoffe, ihn dort wiederzusehen und wieder zu lieben.
Wenn sie mich freilassen, dann werden sie erkennen, dass ich ein besserer Mensch geworden bin. Ich bin nicht vor Gericht gestellt worden wie der arme Thomas, ich bin nicht gefoltert worden wie er, aber ich habe dennoch auf meine Weise gelitten. Denn ich dachte an ihn, ich dachte an die Liebe, die ihn das Leben gekostet hat. Ich habe
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