Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Weise schneller nach Kleve gelangen und meinen Herrn um Geld bitten. Ich habe die Pferde angemietet für den Fall, dass mir die Gläubiger auf den Fersen sind.«
Ich schaue ihn vollkommen fassungslos an. Er macht eine Verbeugung. »Ich bitte um Vergebung, Lady Anna. Ich hätte es Euch sagen sollen. Aber ich schämte mich zu sehr.«
Sir Thomas wirft den anderen beiden Räten einen Blick zu, und diese nicken. Es ist eine Erklärung, wenn auch nicht die, die sie hören wollten.
»Nun denn«, sagt er aufgeräumt. »Eure beiden Dienstboten, die sich diese Geschichte ausgedacht haben, sind bereits wegen übler Nachrede verhaftet worden und werden in den Tower gebracht. Der König ist entschlossen, dass kein Makel Euren Ruf befleckt.«
Dieser plötzliche Umschwung ist fast zu viel für mich. Es klingt, als würde ich von jedem Verdacht freigesprochen, doch ich argwöhne sogleich, dass es nur ein Trick ist. »Ich danke Seiner Majestät für seine brüderliche Sorge«, sage ich behutsam. »Ich zähle mich zu seinen ergebensten Untertanen.«
Er nickt. »Gut. Wir reisen nun ab. Der Rat muss informiert werden, dass Euer Ruf von jedem Verdacht gereinigt ist.«
»Ihr fahrt schon?«, frage ich. Ich weiß, dass sie darauf hoffen, mich in einem Moment der Erleichterung zu ertappen, wenn ich in meiner Aufmerksamkeit erlahme. Sie wissen ja nicht, wie viel Angst ich wirklich habe. Ich glaube nicht, dass ich jemals mein Entrinnen feiern werde, denn ich werde niemals so recht daran glauben.
Wie im Traum erhebe ich mich von meinem Stuhl und begleite sie aus dem Gemach. Wir schreiten die breite Treppe zur Haustür hinunter, vor der Sir Thomas' Eskorte wartet, bereits aufgesessen und mit königlicher Standarte. »Ich hoffe, der König ist wohl«, sage ich.
»Sein Herz ist gebrochen«, erklärt Sir Thomas. »Es ist eine schlimme Sache, wirklich eine sehr schlimme Sache. Sein Bein verursacht ihm große Schmerzen und Katherine Howards Benehmen großes Ungemach. Der ganze Hof trägt seit Weihnachten Trauer, es ist fast, als sei sie tot.«
»Wird sie freigelassen werden?«, erkundige ich mich.
Er wirft mir einen raschen, vorsichtigen Blick zu. »Was glaubt Ihr?«
Ich schüttele nur den Kopf. Ich bin nicht so töricht, meine Gedanken auszusprechen, vor allem dann nicht, wenn ich gerade selbst vor Gericht gestanden habe.
Wenn ich jemals die Wahrheit sagen könnte, dann würde ich sagen, dass ich in den letzten Monaten dachte, der König habe nun völlig den Verstand verloren, und niemand habe den Mut, sich ihm entgegenzustellen. Er kann sie freilassen und wieder zur Frau nehmen, er kann sie künftig »Schwester« nennen oder ihr den Kopf abschlagen, wie es ihm gerade passt. Er kann auch mich wieder zur Frau begehren, oder er kann mir wegen Hochverrats den Kopf abschlagen lassen. Er ist ein Ungeheuer und ein Wahnsinniger, und außer mir scheint dies keiner wahrhaben zu wollen.
»Der König wird ihr Richter sein«, sagt er und bestätigt damit meine stummen Worte. »Er allein wird von Gott geleitet.«
J ANE B OLEYN , T OWER , F EBRUAR 1542
Ich lache, ich hüpfe umher, manchmal schaue ich aus dem Fenster und rede mit den Möwen. Es wird keinen Prozess geben, keine Verhöre, keine Möglichkeit, meinen Namen reinzuwaschen, und deshalb habe ich keinen Vorteil davon, meinen Verstand beisammenzuhalten. Sie wagen es nicht, dieses Närrchen Katherine vor ein Gericht zu stellen, oder sie hat sich geweigert oder was auch immer, es ist mir gleich. Ich weiß ja nur, was man mir erzählt. Und sie sprechen sehr laut mit mir, als wäre ich alt oder taub und nicht verrückt. Sie sagen, das Parlament habe einen strafrechtlichen Beschluss gegen mich und Katherine erlassen, wegen Hochverrats und Verschwörung. Wir sind schuldig gesprochen worden, ohne einem Richter oder Geschworenen vorgeführt zu werden, ohne einen Verteidiger zu haben. Das ist heutzutage Heinrichs Justiz. Ich schaue sie nur verständnislos an und kichere, ich summe ein Liedchen und frage, wann wir ausreiten. Es kann nicht mehr lange dauern. In ein paar Tagen, so nehme ich an, werden sie Katherine aus dem Kloster Syon holen, und dann werden sie ihr den Kopf abschlagen.
Sie schicken Dr. Butt, den Leibarzt des Königs, damit er nach mir schaut. Er kommt jeden Tag und sitzt auf einem Stuhl mitten in meiner Zelle und beobachtet mich unter seinen buschigen Augenbrauen, als wäre ich ein Tier. Er soll beurteilen, ob ich verrückt bin. Das bringt mich zum Lachen, ohne dass ich es
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