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Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Titel: Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Gedanken für mich.
    Seit meiner frühesten Kindheit habe ich unter der Fuchtel meines Bruders gelitten. Natürlich stand immer schon fest, dass er eines Tages über die Herzogtümer Rhein und Maas herrschen würde. Sie sind gewiss nicht groß, liegen aber im Herzen Europas, und jede mächtige Nation und jeder große Herrscher buhlen daher um unsere Freundschaft, ob Frankreich, das habsburgische Spanien oder Österreich, ob der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, der Papst höchstselbst oder nun Heinrich von England. Kleve ist das Schlüsselloch zum Herzen Europas, und der Herzog von Kleve ist der Schlüssel dazu. Kein Wunder, dass mein Bruder sich so viel einbildet, er hat alles Recht dazu! Nur frage ich mich manchmal, ob er nicht in Wahrheit ein unbedeutendes Prinzlein ist, das bei dem großen Festmahl der Christenheit am unteren Ende der Tafel sitzt und eben noch geduldet wird. Aber diese Gedanken vertraue ich niemandem an, nicht einmal meiner Schwester Amalie.
    Weil mein Bruder ein so mächtiger Mann ist, herrscht er über meine Mutter: Sie ist sein Lordkanzler, sein Majordomus, sein Papst. Mit ihrem Segen gebietet er über meine Schwester und mich, weil er der Sohn und Erbe ist, wir jedoch nur eine Bürde sind. Er ist ein junger Mann, dem eine Zukunft voller Macht und Möglichkeiten offensteht, und wir sind junge Frauen, denen vorbestimmt ist, Ehefrauen und bestenfalls Mütter zu werden - oder abhängige alte Jungfern, was die schlimmste Aussicht ist. Meine ältere Schwester Sybille hat den Ausbruch geschafft: Sie hat unser Haus verlassen, sobald ihre arrangierte Ehe geschlossen wurde, und muss nun die Tyrannei brüderlicher Aufmerksamkeit nicht mehr ertragen. Und ich werde als Nächste gehen. Ich muss die Nächste sein. Ich muss von diesem Joch befreit werden. Sie können doch nicht so grausam sein, statt meiner Amalie nach England zu schicken! Auch für sie wird die Gelegenheit kommen, auch sie wird einmal an der Reihe sein. Aber die nächste Schwester in der Reihe bin ich, also muss der englische König mich nehmen. Ich weiß gar nicht, warum sie ihm Amalie überhaupt angeboten haben - es sei denn, sie wollten mir Angst einjagen, damit ich noch unterwürfiger werde. Sollte dies der Grund gewesen sein, dann haben sie wahrlich Erfolg gehabt, denn ich habe schreckliche Angst davor, dass mir eine Jüngere vorgezogen wird, und mein Bruder wäre schuld daran. Aber indem er mich so quält, handelt er gegen seine eigenen Interessen.
    Mein Bruder ist im wahrsten Sinne ein Zwergenherrscher. Nachdem mein Vater verstorben war, trat er in dessen Fußstapfen, aber er vermag sie nicht auszufüllen. Mein Vater war in einer größeren Welt zu Hause, er war Gast an den Königshöfen Frankreichs und Spaniens, er bereiste ganz Europa. Mein Bruder, der es vorzieht, zu Hause zu bleiben, glaubt, die Welt könne ihm nichts Größeres bieten als sein Herzogtum. Er glaubt, es gäbe kein besseres Buch als die Bibel, keine besseren Kirchen als die unseren mit ihren schmucklosen, kahlen Wänden, keinen besseren geistigen Führer als sein eigenes Gewissen. Da er nur einen kleinen Hof regiert, bekommen die wenigen Diener das ganze Ausmaß seiner Herrschsucht zu spüren. Da er nur ein geringes Erbe erhielt, legt er großen Wert auf seine Würde, und ich, der jegliche Würde abgeht, bekomme die volle Wucht dieser Geisteshaltung zu spüren. Wenn er fröhlich ist oder betrunken, dann nennt er mich die rebellischste seiner Untertanen und tätschelt mich mit schwerer Hand. Wenn er jedoch nüchtern ist oder gereizt, dann bin ich ein Mädchen, das seinen Platz nicht kennt, und er droht, mich in meinem Gemach einzuschließen.
    Das ist dieser Tage in Kleve keine leere Drohung. Dieser Mann hat seinen eigenen Vater eingesperrt. Ich glaube, er wäre fähig, auch mich gefangen zu halten. Und wenn ich hinter meiner Tür weinte, würde dann jemand kommen und mich herauslassen?
    Meister Holbein bedeutet mir mit einem kurzen Nicken, dass ich aufstehen und meiner Schwester den Platz überlassen kann. Mein Porträt zu betrachten, ist mir nicht erlaubt. Keine von uns darf sehen, was er dem König nach England sendet. Es ist nicht die Aufgabe des Meisters, uns zu schmeicheln oder uns als Schönheiten zu malen. Er ist gekommen, um nach bestem Vermögen unser genaues Abbild zu zeichnen, damit der König von England entscheiden kann, welche ihm besser gefällt. Als wären wir flandrische Stuten, die zum Deckhengst nach England gebracht werden sollen!
    Meister

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