Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Mut zusammennehmen kann und eine neue Ehe eingeht, ohne die Geister der Vergangenheit zu fürchten, dann sollte mir das auch gelingen.
Und ich werde meinem Verwandten dienen, meinem angeheirateten Onkel Thomas Howard, dem Herzog von Norfolk, dem zweitmächtigsten Manne Englands. Er ist ein Soldat, bekannt und berüchtigt für seine schnellen Vorstöße und seine grausamen Angriffe. Ein Höfling, der sein Fähnlein nie nach dem Winde hängt, sondern treu dem König, seiner eigenen Familie und seinen Interessen dient. Ein Edelmann aus so erhabener Familie, dass er ebenso wie ein Tudor Anspruch auf den Thron erheben könnte. Er ist mein Verwandter und mein Schutzherr und Gebieter. Er hat mich einmal davor bewahrt, wegen Hochverrats hingerichtet zu werden, er riet mir damals, was ich tun sollte und wie ich es tun sollte. Er nahm sich meiner an, als ich ins Straucheln kam, und rettete mich aus der Finsternis des Towers, brachte mich in Sicherheit. Seitdem habe ich mein Leben ihm geweiht. Er weiß, dass ich ihm gehöre. Und nun hat er wieder eine Aufgabe für mich, und ich werde meine Schuld bei ihm abtragen.
A NNA , D ÜSSELDORF , R ESIDENZ DER H ERZÖGE VON K LEVE , N OVEMBER 1539
Ich habe es geschafft! Seine Wahl fiel auf mich. Ich werde Königin von England! Ich habe meinen Fußriemen abgestreift wie ein freier Falke, und ich werde davonfliegen. Amalie drückt ihr Taschentuch an die Augen, weil sie eine Erkältung hat, aber so wirken möchte, als hätte sie bei der Nachricht von meiner baldigen Abreise geweint. Sie ist eine Lügnerin! Es tut ihr gar nicht leid, dass ich gehe. Als einzige Herzogin von Kleve wird ihre Stellung sehr viel besser sein als die einer jüngeren Schwester. Und wenn ich erst einmal verheiratet bin, steigen auch ihre Chancen, eine gute Partie zu machen. Auch meine Mutter wirkt nicht allzu glücklich, aber sie hat wirklich arge Sorgen. Seit Monaten ist sie nervös. Ich würde gern sagen, dass es meinetwegen ist, aber darum geht es nicht. Sie sorgt sich wegen der Kosten der Reise und wegen meines Hochzeitskleides, denn alles muss aus der Staatskasse meines Bruders bezahlt werden. Meine Mutter ist sowohl Schatzkanzler als auch Haushälterin meines Bruders. Und auch wenn England auf die Forderung einer Mitgift verzichtet, kostet diese Hochzeit unser Land mehr, als meine Mutter zu zahlen bereit ist.
»Selbst wenn die Trompeter umsonst spielen, muss ich sie doch verköstigen«, sagt sie verärgert, als wären die Trompeter ein exotisches und teures Schoßtier, auf dem ich in meiner Eitelkeit bestanden habe, während sie in Wahrheit eine Leihgabe meiner Schwester Sybille sind. Sie hat mir auch ganz offen geschrieben, dass es ihrem guten Ruf in Sachsen abträglich wäre, wenn ich zur Hochzeit mit einem der mächtigsten Könige Europas in einem schäbigen Lastkarren aufbräche, ohne Begleitung von Fanfarenstößen.
Mein Bruder schweigt dazu. Meine Heirat mit dem englischen König ist für ihn ein großer Triumph und für sein Herzogtum ein großer Schritt. Er ist mit den anderen protestantischen Fürsten und Herzögen Deutschlands verbündet, und sie hoffen, dass meine Ehe England dazu bringt, ihrem Bund beizutreten. Wenn alle protestantischen Kräfte Europas vereint wären, könnten sie Frankreich oder die habsburgischen Länder angreifen und die Reformation weiter verbreiten. Sie könnten sogar bis nach Rom kommen, sie könnten der Macht des Papstes in seiner eigenen Stadt Einhalt gebieten. Wer kann voraussagen, welche Herrlichkeit Gottes uns geschenkt wird, wenn ich nur meinem Ehemann, der offenbar nie zufrieden war, eine brave Frau sein kann?
»Auch im Dienste an deinem Ehemann musst du deine Pflicht vor Gott erfüllen«, sagt mein Bruder großspurig.
Ich warte auf eine nähere Erklärung. »Er nimmt stets den Glauben seiner Ehefrau an«, fährt mein Bruder fort. »Als er mit der spanischen Prinzessin verheiratet war, wurde er vom Papst höchstselbst ›Verteidiger des Glaubens‹ genannt. Als er Lady Anne Boleyn ehelichte, brachte sie ihn vom Aberglauben ab und auf den rechten Weg der Reformation. Mit Königin Jane wurde er wieder Katholik, und wenn sie nicht gestorben wäre, hätte er sich sicherlich mit dem Papst ausgesöhnt. Und obwohl man ihn derzeit nicht als Freund des Papstes bezeichnen kann, ist sein Land doch praktisch katholisch. Wenn du ihn aber anleitest, so wie es deine Aufgabe ist, dann wird er sich voll und ganz zum protestantischen Glauben bekehren und sich uns
Weitere Kostenlose Bücher