Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
eines ordinären alten Narren, nein, heute ist er wie ein König gekleidet und reitet wie ein König. In einem diamantenbesetzten Mantel, mit einem Diamantkragen um die Schultern und einem perlenbesetzten Samthut thront er auf dem schönsten Ross, das ich je gesehen habe. Er ist prächtig: In der gleißenden Wintersonne wirkt er wie ein Gott, sein Pferd tänzelt auf seinem eigenen Grund und Boden, umgeben von der königlichen Garde, die fleißig Fanfaren bläst. Er lächelt mir im Näherkommen freundlich zu, und wir grüßen einander unter den Jubelrufen der Menge.
»Ich heiße Euch in England willkommen«, sagt er so langsam, dass ich es verstehe, und ich gebe meine sorgfältig einstudierte Antwort: »Mylord, ich bin sehr froh, hier zu sein, und ich werde versuchen, Euch eine gute Frau zu sein.«
Ich glaube, ich werde glücklich, ich glaube, es kann vollbracht werden. Unsere erste beschämende Begegnung kann vergessen und vergeben werden. Wir werden jahrelang verheiratet, ein Leben lang glücklich sein. Wer wird sich in zehn Jahren noch an so einen unbedeutenden Vorfall erinnern?
Dann kommt meine Kutsche, und ich fahre durch den Park zum Greenwich-Palast, der am Fluss liegt. Auf der Themse fahren unzählige bunt geschmückte Barken mit flatternden Fahnen, und die Londoner Bürger haben ihre besten Kleider angelegt. Draußen auf dem Wasser spielen Musiker ein neues Lied, Frohe Anna, das eigens für mich komponiert wurde. Auf den Booten werden zur Feier meiner Ankunft Festspiele aufgeführt, und alles lächelt und winkt; also lächele auch ich und winke zurück.
Unser Festzug biegt in die geschwungene Zufahrt von Greenwich ein, und wieder einmal wird mir bewusst, was für ein Land diese meine neue Heimat ist. Denn Greenwich ist keine gegen Feinde befestigte Burg, sondern ein Schloss, erbaut für ein Land im dauerhaften Frieden, ein großer, schöner Palast, so schön wie die Schlösser Frankreichs. Es führt auf den Fluss hinaus und ist das schönste Gebäude aus Stein und kostbarem venezianischen Glas, das ich je gesehen habe. Der König bemerkt mein strahlendes Gesicht, reitet an meine Kutsche heran und beugt sich herab, um mir zu sagen, dass dies nur eines seiner vielen Schlösser ist, aber es sei sein Lieblingsschloss, und wenn wir durchs Land reisten, würde ich auch die anderen kennenlernen, und er hoffe, dass ich alle schön finde.
Zum Ausruhen bringen sie mich in die Gemächer der Königin, und zum ersten Mal verspüre ich nicht den Wunsch, allein gelassen zu werden, sondern freue mich, hier zu sein, in meinen Privatgemächern, umgeben von meinen Hofdamen, während draußen im Audienzzimmer Besucher warten. Ich begebe mich in mein Ankleidezimmer und lege das Taftkleid an, das einen Besatz von Zobelfell erhalten hat. Ich glaube, nie zuvor habe ich so viel Reichtum am Leib getragen. Ich gehe meinen Damen zum Dinner voraus und fühle mich jetzt schon wie eine Königin. Am Eingang zum großen Speisesaal nimmt der König meine Hand und führt mich an den Tischen vorbei. Alles verbeugt sich oder knickst, und wir lächeln und nicken, Hand in Hand, schon jetzt wie Mann und Frau.
Ich beginne Leute wiederzuerkennen und weiß ihre Namen, ohne dass man es mir vorsagt: Der Hof ist für mich nicht länger ein freundloser Nebel. Ich erblicke Lord Southampton, der müde und besorgt aussieht, wie es ihm wohl zusteht, wenn man all die Arbeit bedenkt, die er mit meiner Anreise hatte. Sein Lächeln ist angespannt, und seltsamerweise fällt sein Gruß kühl aus. Er weicht dem Blick des Königs aus, als braue sich Unheil zusammen, und ich erinnere mich an meinen Entschluss, an diesem Hofe, der von Launen regiert wird, eine gerechte Königin zu sein. Vielleicht erfahre ich eines Tages, was Lord Southampton so zusetzt, und vielleicht kann ich ihm helfen.
Des Königs führender Berater, Thomas Cromwell, verneigt sich vor mir, und ich erkenne ihn nach der Beschreibung meiner Mutter als den Mann, der mehr als alle anderen den Bund mit uns und den protestantischen Fürsten Deutschlands suchte. Von ihm hätte ich eine herzlichere Begrüßung erwartet, aber er ist zurückhaltend und übertrieben bescheiden, und der König nickt ihm nur kurz zu und führt mich am Tisch vorbei.
Auch Erzbischof Cranmer speist mit uns, und nun sehe ich auch Lord Lisle und seine Frau. Auch er wirkt müde und zurückhaltend, und ich erinnere mich an seine Ängste bezüglich der kirchlichen Abspaltung, die er in Calais äußerte. Ich grüße ihn mit einem
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