Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
»Gib dir Mühe, ihn zu erfreuen. Dann wird er vielleicht auch dir einen Zobel schenken. Verstehst du?«
Das mit dem Zobel, ja, das verstehe ich. »Ja.«
»Wenn du also Geschenke willst und meinen Segen dazu, dann tue dein Bestes, um dich dem König gegenüber charmant und zuvorkommend zu betragen. Lady Rochford wird dich anleiten.«
Sie nickt mir zu.
»Lady Rochford ist ein höchst kluger und geschickter Höfling«, fährt er fort. »Nur wenige Menschen kennen den König länger. Lady Rochford wird dir sagen, wie du weiter vorgehen sollst. Es ist unsere Hoffnung und unsere Absicht, dass der König dich zum Günstling erhebt, dass er sich, kurz gesagt, in dich verliebt.«
»In mich?«
Nun nicken beide. Sind sie verrückt geworden? Er ist ein alter Mann, der jeglichen Gedanken an Liebe schon vor Jahren aufgegeben haben muss. Er hat eine Tochter, Lady Maria, die fast alt genug wäre, meine Mutter zu sein. Er ist hässlich, er hat verfaulte Zähne und watschelt wegen seiner Beinverletzung wie eine fette, alte Gans. So ein Mann darf doch nicht mehr an die Liebe denken! Er kann mich wie eine Enkelin sehen, aber doch nicht als ... Geliebte.
»Aber er soll doch Lady Anna heiraten!«, entgegne ich.
»Wenn schon.«
»Er ist zu alt, um sich zu verlieben!«
Nun wirft mir der Onkel einen so finsteren Blick zu, dass mir vor Schreck ein leiser Aufschrei entfährt.
»Närrin«, sagt er barsch.
Ich zögere einen Moment. Wollen sie tatsächlich, dass dieser alte König mein Liebhaber wird? Soll ich jetzt etwas über meine Jungfräulichkeit und meinen makellosen Ruf sagen, der in Lambeth angeblich so viel bedeutete?
»Und mein Ruf?«, bringe ich flüsternd heraus.
Wieder lacht mein Onkel. »Spielt keine Rolle«, sagt er.
Ich schaue zu Lady Rochford, deren Aufgabe es eigentlich ist, an einem Hof mit lockeren Sitten meine Anstandsdame zu sein. Sie sollte mein Benehmen beobachten und meinen Ruf schützen.
»Ich kann dir später alles erklären«, sagt sie.
Somit verstehe ich, dass ich lieber meinen Mund halten sollte. »Ja, Mylord«, sage ich gehorsam.
»Du bist ein hübsches Mädchen«, sagt er. »Ich habe Lady Rochford Geld gegeben, damit sie dir ein neues Kleid kauft.«
»Oh, danke schön!«
Er lächelt über meine plötzliche Begeisterung. Dann wendet er sich an Lady Rochford. »Und ich lasse Euch einen Diener da. Er kann Besorgungen für Euch erledigen. Es scheint mir nun der Mühe wert, dass ich einen Mann in Euren Diensten entlohne. Wer hätte das vor Kurzem noch gedacht? Haltet mich jedenfalls auf dem Laufenden, wie sich alles entwickelt.«
Sie erhebt sich von dem Fenstersitz und knickst. Er geht ohne ein weiteres Wort. Wir sind allein.
»Was hat er vor?«, frage ich völlig verblüfft.
Sie sieht mich an, als wolle sie Maß nehmen für ein Kleid, sie betrachtet mich von Kopf bis Fuß. »Mach dir jetzt noch keine Gedanken darüber«, sagt sie freundlich. »Er ist mit dir zufrieden, das ist die Hauptsache.«
A NNA , B LACKHEATH , 3. J ANUAR 1540
Heute ist der glücklichste Tag meines Lebens, denn ich habe mich verliebt. Ich habe mich verliebt, aber nicht wie ein dummes junges Ding in einen jungen Mann, der mir Schmeicheleien sagt. Ich habe mich verliebt, und diese Liebe wird ein Leben lang halten. Ich habe mich in England verliebt, und diese Erkenntnis hat den heutigen Tag zum glücklichsten meines Lebens gemacht. An diesem Tag habe ich begriffen, dass ich Königin dieses Landes, dieses üppigen, schönen Landes sein werde. Ich habe es bereist wie eine Närrin, mit geschlossenen Augen - nun ja, häufig auch in der Dunkelheit oder bei allerschlimmstem Wetter-, aber heute ist alles so freundlich und sonnig, und der Himmel ist so blau, die Luft ist so frisch und klar, so aufregend und kühl wie weißer Wein. Heute fühle ich mich wie der Gerfalke meines Vaters: Ich fliege hoch im kühlen Wind und schaue herab auf dieses außerordentlich schöne Land, das Mein sein wird. Auf den Straßen glitzert der weiße Raureif. Wir reiten von Dartford nach Blackheath, und als wir in den Park kommen, werde ich mit meinen sämtlichen Hofdamen bekannt gemacht, die wunderschön gekleidet sind und mich sehr freundlich begrüßen. Ich werde fast siebzig Hofdamen haben, darunter Nichten und Cousinen des Königs, und alle grüßen mich heute als meine neuen Freunde. Ich trage mein bestes Kleid, und ich weiß, dass ich gut aussehe, sogar mein Bruder wäre wohl heute stolz auf mich.
Sie haben eine Zeltstadt aus Goldbrokat
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