Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
sanft. »Mein armes, süßes Kind, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.«
»Zu gütig«, bringe ich heraus. Ich erhasche einen Blick von Anne Bassett, die aussieht, als ob sie mich ermorden könnte. »Ich bin ja so schüchtern.«
»Süßes Kind«, sagt er, noch zärtlicher.
»Es war, als Ihr mich fragtet ...«
»Als ich Euch was fragte?«
Ich hole tief Luft. Wenn er nicht der König wäre, wüsste ich besser damit umzugehen. Aber er ist der König, und das macht mich unsicher. Außerdem ist er alt genug, mein Großvater zu sein, und es kommt mir geradezu unanständig vor, mit ihm zu flirten. Dann wage ich wieder einen Blick nach oben und weiß sogleich, dass ich richtig geraten habe. Auf seinem Gesicht steht dieser Ausdruck, den so viele Männer bekommen, wenn sie mich ansehen. Als ob sie mich verschlingen wollten.
»Als Ihr mich fragtet, ob ich Euch wiedererkennen würde«, sage ich mit Kleinmädchenstimme. »Denn das würde ich.«
»Wie würdet Ihr mich wiedererkennen?« Er beugt sich herab, um mich besser zu verstehen, und in einem Aufwallen der Erregung begreife ich, dass es keine Rolle spielt, dass er der König ist. Er tändelt mit mir wie jeder junge oder alte Mann. Auf seinem Gesicht steht der gleiche dumme, vernarrte Ausdruck. Ich erkenne ihn wieder, habe ihn ja oft genug gesehen. Es ist dieser jämmerliche Ausdruck, den alte Männer bei meinem Anblick bekommen, es ist eigentlich widerlich. So schauen alte Männer Frauen an, die ihre Töchter sein könnten - selbst wenn sie wissen, dass es nicht recht ist.
»Weil Ihr so gut ausseht«, hauche ich und sehe ihm gerade in die Augen. Ich gehe einfach das Wagnis ein, man wird schon sehen, was passiert. »Ihr seid der schönste Mann bei Hofe, Euer Gnaden.«
Er steht gebannt da, wie ein Mann, der plötzlich wunderschöne Musik hört. Wie ein verzauberter Mann. »Ihr haltet mich für den schönsten Mann bei Hofe?«, fragt er ungläubig. »Mein süßes Kind, ich bin alt genug, dein Vater zu sein.«
Eher mein Großvater, um der Wahrheit die Ehre zu geben, aber ich schaue ihn weiter treuherzig an. »Ja?«, hauche ich, als wüsste ich nicht ganz genau, dass er sich der Fünfzig nähert, während ich noch keine Fünfzehn bin. »Aber die jungen Männer mag ich nicht. Sie sind so dumm.«
»Ärgern sie Euch?«, fragt er sogleich.
»Oh nein«, wiegele ich ab. »Ich habe gar nichts mit ihnen zu schaffen. Aber ich würde tausendmal lieber mit einem älteren Mann spazieren gehen und sprechen, mit einem Mann, der etwas von der Welt versteht. Der mir Rat geben kann. Dem ich vertrauen kann.«
»Ihr werdet heute Nachmittag mit mir spazieren gehen und reden«, verspricht er. »Ihr werdet mir von allen Euren kleinen Kümmernissen berichten. Und wenn jemand Euch geärgert hat, dann soll er sich vor mir dafür verantworten.«
Ich sinke in einen tiefen Knicks. Ich bin ihm so nahe, dass ich mit meiner gesenkten Stirn fast seine Kniehose streife. Wenn sich nun dort nichts rührt, sollte mich das überraschen. Ich schaue zu ihm auf, und ich lächele, und dann schüttele ich ganz leicht den Kopf, als könnte ich es nicht fassen. Insgeheim denke ich, dass das wirklich furchtbar gut klappt. »Ihr seid zu gütig«, flüstere ich.
A NNA , W HITEHALL -P ALAST , S ONNTAG , 11. J ANUAR 1540
Heute ist ein ganz wunderbarer Tag; ich spüre, dass ich nun wirklich Königin bin. Ich sitze in der königlichen Loge, in meiner eigenen Loge, in der Loge der Königin im neu erbauten Torhaus von Whitehall, und in der Arena unter mir tummelt sich der halbe Adel Englands, und ebenso sind einige Gentlemen aus Frankreich und Spanien angereist, um ihren Mut zu zeigen und meine Gunst zu suchen.
Ja, sie buhlen um meine Gunst, denn wenn ich auch im Innersten noch Anna von Kleve bin, wenig beachtet und weder die Hübscheste noch die Netteste der Töchter von Kleve, so bin ich nun äußerlich die Königin von England, und es ist schon erstaunlich, wie viel größer und schöner ich wirke, seit ich eine Krone auf dem Kopf trage.
Auch mein neues Kleid ist dazu angetan, mein Selbstbewusstsein zu heben. Es ist im englischen Stil geschnitten, und obwohl ich mich mit tiefem Ausschnitt und ohne Halskrause schrecklich nackt fühle, sehe ich nun wenigstens aus wie die anderen Damen. Ich trage sogar eine französische Haube, habe sie aber so weit wie möglich nach vorn gezogen, um mein Haar zu bedecken. Sie wiegt fast nichts, und ich muss ständig aufpassen, dass ich nicht mit dem Kopf wackele
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