Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
dann muss ich über mich selbst lachen, weil hinter meiner Pflichterfüllung so viel Selbstsucht steckt: Natürlich will ich ihm eine gute Stiefmutter und Königin sein, aber mehr als alles andere will ich ihn bemuttern. Ich möchte sein kleines Gesicht aufleuchten sehen, sobald ich sein Zimmer betrete. Ich möchte hören, wie er »Könana« sagt, was bisher die einzige Form ist, in der er »Königin Anna« aussprechen kann. Ich will ihn beten lehren, ich will ihm Lesen und Schreiben und gute Manieren beibringen. Ich will ihn haben wie ein eigenes Kind. Nicht nur, weil er keine Mutter mehr hat, sondern weil ich kinderlos bin und Liebe zu geben habe.
Er ist natürlich nicht mein einziges Stiefkind. Aber Lady Elisabeth ist es nicht erlaubt, den Hof zu besuchen. Sie muss im Hatfield-Palast bleiben, eine gute Wegstrecke von London entfernt. Der König hat sie für illegitim erklären lassen. Manche behaupten sogar, dass sie nicht einmal seine Tochter ist, sondern einen anderen Mann zum Vater hat. Lady Jane Rochford - die über alles Bescheid weiß - hat mir ein Porträt von Elisabeth gezeigt und auf ihr Haar gedeutet, das so rot ist wie die glühenden Kohlen in einem Becken, und dann hat sie gelächelt, als wollte sie sagen, dass an des Königs Vaterschaft doch wohl kaum Zweifel bestehen könnten. Aber König Heinrich maßt sich das Recht an zu entscheiden, welche Kinder er anerkennt, und Lady Elisabeth ist infolgedessen vom Hof entfernt worden und wird, wenn sie volljährig ist, einen Adeligen von geringerem Rang heiraten. Falls ich nicht vorher ein gutes Wort für sie einlegen kann. Vielleicht wird es möglich sein, wenn wir erst eine Weile verheiratet sind, vielleicht kann ich ihm einen zweiten Sohn schenken, und vielleicht wird er dann freundlicher zu dem kleinen Mädchen sein, das seine Güte so sehr braucht.
Stattdessen wird Prinzessin Maria nun wieder bei Hofe zugelassen, obwohl Lady Rochford mir erzählte, dass auch sie jahrelang in Ungnade gefallen war, seit ihre Mutter sich Heinrich widersetzte. Die Weigerung Königin Katharinas, sich von ihm scheiden zu lassen, führte dazu, dass der König die Ehe für nichtig erklärte und auch das gemeinsame Kind leugnete. Ich muss versuchen, ihn darob nicht zu verurteilen. Es ist zu lange her, und ich darf mir kein Urteil anmaßen. Aber ein Kind die Kälte spüren zu lassen, die ihre Wurzeln in Unstimmigkeiten mit seiner Mutter hat, kommt mir sehr grausam vor. Auch mein Bruder missachtete mich ja der Liebe wegen, die mein Vater für mich hegte. Allerdings ist Prinzessin Maria kein Kind mehr. Sie ist eine junge Frau, bereit zur Ehe, und man munkelte sogar, die Bedauernswerte solle mit meinem Bruder verheiratet werden. Ich glaube, sie ist nicht sehr gesund, sie fühlte sich nicht wohl genug, um zum Hof zu kommen und mich kennenzulernen. Lady Rochford hingegen sagt, dass es ihr ganz gut gehe, dass sie aber den Hof meide, weil der König eine neue Partie für sie ins Auge gefasst habe.
Ich kann sie deswegen nicht tadeln. Einmal war sie mit meinem Bruder verlobt, dann mit einem französischen Prinzen, dann wieder mit einem Habsburger. Es ist ganz natürlich, dass die Frage ihrer Verheiratung immer wieder verhandelt werden muss, bis eine Ehe unter Dach und Fach ist. Seltsam ist aber in ihrem Falle, dass niemand wissen kann, was er bekommt, wenn er sie einkauft. Man kann nicht vorhersagen, welchen Stammbaum sie mitbringt, da ihr Vater sie einmal verleugnet und nun wieder anerkannt hat, sie aber jederzeit wieder verleugnen könnte. Denn für ihn zählt nichts außer seiner Meinung, die er für den Willen Gottes hält.
Wenn ich eines Tages mehr Macht und Einfluss auf meinen Gebieter, den König, habe, dann werde ich ihn davon überzeugen, Prinzessin Marias Stellung ein und für alle Mal zu sichern. Es ist nicht gerecht, dass sie nicht weiß, ob sie eine Prinzessin ist oder eine arme Kirchenmaus, und sie wird niemals eine gute Partie machen können, wenn ihre Stellung so prekär ist. Ich wage zu behaupten, dass der König sich nie in sie hineinversetzt hat. Und niemand hat sich zu ihrem Anwalt aufgeschwungen. Es wäre gewiss das Richtige, wenn ich, als seine Ehefrau, ihm helfe, die Bedürfnisse seiner Töchter mit den Ansprüchen seiner eigenen Würde zu versöhnen.
Prinzessin Maria ist überzeugte Katholikin, ich hingegen wuchs in einem Land auf, das den Machtmissbrauch der Papisten ablehnt und nach einem reineren Glauben strebt. Wir könnten also in der Glaubenslehre uneins
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