Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
gottverdammter Earl des gottverdammten Essex?«
Mir wird bewusst, dass ich mich an die Wand drücke, denn ich spüre die kühle Seide des Wandteppichs unter meinen gespreizten Händen. Der Stoff wird feucht, denn mir ist der kalte Schweiß ausgebrochen.
»Wie soll irgendjemand wissen, was zur Hölle im Kopf des Königs vorgeht, wenn er abwechselnd so klug ist wie eine Krähe und so verrückt wie ein Hase?«
Ich schüttele schweigend den Kopf. Dass Norfolk den König mit einem Wahnsinnigen gleichsetzt, ist so gut wie Hochverrat. Selbst hier, in den sicheren Howard-Gemächern, würde ich keine solche Aussage von mir geben.
»Wie dem auch sei, Ihr seid sicher, dass er immer noch in unsere Katherine vernarrt ist?«, fragt er, ruhiger geworden.
»Er liebt sie heiß und innig. Daran habe ich keinen Zweifel.«
»Wir befehlen ihr, ihn auf Abstand zu halten. Wir gewinnen nichts, wenn sie seine Dirne wird und er mit der Königin verheiratet bleibt.«
»Es kann gar keinen Zweifel geben ...«
»Ich ziehe alles und jeden in Zweifel«, erklärt er rundheraus. »Und wenn er zuerst sie und dann die Königin beschläft, und wenn diese ihm doch einen Sohn schenkt und er dann Cromwell für die willkommene Zugabe in der Kinderstube dankt, dann sind wir ruiniert und die kleine Schlampe ebenso.«
»Er wird die Königin nicht beschlafen«, sage ich, auf das Einzige pochend, das ich mit Sicherheit weiß.
»Ihr wisst gar nichts«, sagt er grob. »Euer gesamtes Wissen kann vor Schlüssellöchern und aus dem Klatsch und Tratsch der Höflinge gesammelt werden, aus dem Zimmerabfall und der Müllgrube. Ihr wisst lediglich das, was aus dem Abfall des Lebens aufgehoben werden kann, Ihr habt keine Ahnung von Politik. Ich aber sage Euch, er belohnt Cromwell mit dem höchsten Rang im Lande, weil dieser ihm aus Kleve eine Königin verschafft hat. Meine Pläne und Eure Pläne sind zum Scheitern verurteilt. Ihr seid eine Närrin!«
Es gibt nichts, was ich dazu sagen könnte, deshalb warte ich, dass er mich entlässt. Er jedoch wendet sich zum Fenster, schaut hinaus und nagt an seinem Daumennagel. Nach einer Weile kommt ein Page mit der Nachricht, dass seine Anwesenheit im Oberhaus gewünscht wird, und er verlässt seine Gemächer ohne ein weiteres Wort. Ich knickse, doch ich glaube, er hat mich völlig vergessen.
Nachdem er gegangen ist, bleibe ich einfach da. Ich schreite durchs Zimmer, und als draußen alles ruhig ist, schiebe ich mir den Stuhl zurecht. Dann setze ich mich hinter seinen Tisch in seinen großen, geschnitzten Stuhl mit dem Wappen der Howards, das unangenehm am Hinterkopf drückt. Ich träume, was gewesen wäre, wenn George überlebt hätte und sein Onkel gestorben wäre. Dann wäre George der mächtigste Mann seiner Familie gewesen. An diesem Tisch hätten zwei passende Stühle gestanden, hier hätten wir gesessen und Pläne und Intrigen geschmiedet. Vielleicht hätten wir auch ein großes Haus gehabt und viele Kinder, um es zu bevölkern. Wir wären mit der Königin verschwägert gewesen, unsere Kinder wären Cousins und Cousinen des zukünftigen Königs gewesen. George wäre sicherlich zum Herzog ernannt worden, ich könnte heute eine Herzogin sein. Wir wären reich gewesen, wir wären die mächtigste Familie des Reiches gewesen. Vielleicht wären wir sogar miteinander alt geworden. Er hätte meine klugen Ratschläge und meine unveränderliche Treue schätzen gelernt, ich hätte ihn für seine Leidenschaft, sein gutes Aussehen und seinen sprühenden Witz geliebt. Er hätte sich mir zugewandt, er wäre am Ende Anne und ihrer Launen müde geworden. Er hätte gelernt, dass eine beständige, treue Liebe, die Liebe eines Eheweibes, die beste ist.
Aber George ist tot und Anne auch, und sie werden nicht mehr lernen, mich hoch zu schätzen. Und nur noch ich bin übrig, die letzte Überlebende, die sich das Erbe der Boleyns wünscht, die auf dem Howard-Stuhl sitzt und sich ein prächtiges Leben erträumt - statt Alter, Einsamkeit, Schande und Tod.
K ATHERINE , W ESTMINSTER -P ALAST , A PRIL 1540
Kurz vor dem Dinner bin ich auf dem Weg zu den Gemächern der Königin, als ich eine sanfte Hand auf meinem Arm spüre. Ich denke sofort an John Beresby oder Tom Culpepper und drehe mich lachend um, um ihm zu sagen, dass er loslassen soll. Doch es ist der König, und das Lachen bleibt mir im Halse stecken. Ich versinke in einen Knicks.
»Ihr erkennt mich also«, sagt er, und jetzt erst sehe ich, dass er einen großen Hut und
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