Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
verstehe nun. Und eine kluge Frau sagt nichts?«
»Sie sagt nichts.« Ich überlege. »Ihr könnt es nicht verhindern, Euer Gnaden. Was auch immer daraus entstehen mag.«
Sie senkt den Kopf, und zu meinem Erstaunen fällt eine Träne auf ihren Sattelknauf. Rasch wischt sie sie mit dem behandschuhten Finger fort. »Ja, ich nichts kann tun«, flüstert sie.
Wir sind erst wenige Tage in unseren Gemächern in Westminster, als der Herzog von Norfolk mich rufen lässt. Ich suche ihn am Vormittag vor dem Essen auf und treffe auf einen unruhig hin und her laufenden Mann, der mir ganz fremd vorkommt. Es ist so ungewöhnlich, ihn verwirrt zu sehen, dass ich sofort Gefahr wittere. Ich betrete sein Zimmer nicht, sondern bleibe auf der Schwelle stehen, als hätte ich die falsche Tür im Tower geöffnet und würde mich plötzlich im Angesicht der königlichen Löwen wiederfinden. Sprungbereit bleibe ich an der Tür, die Hand auf der Klinke.
»Sir?«
»Habt Ihr das gehört? Habt Ihr es gewusst? Cromwell soll zum Earl ernannt werden? Zu einem verdammten Earl?«
»Ach ja?«
»Muss ich mich wiederholen? Zum Earl of Essex. Zum Earl des verdammten Essex! Was haltet Ihr davon, Madam?«
»Ich erlaube mir keine Meinung darüber, Sir.«
»Haben sie die Ehe nun endlich vollzogen?«
»Nein!«
»Schwört Ihr mir das? Seid Ihr sicher? Sie müssen es doch getan haben! Endlich hat er sie gehabt, und deshalb zeigt er sich dem Kuppler erkenntlich. Für irgendetwas muss er Cromwell doch dankbar sein!«
»Ich bin mir absolut sicher. Ich weiß, dass die Ehe nicht vollzogen wurde. Und sie ist unglücklich, weil sie gemerkt hat, dass er sich von Katherine angezogen fühlt, und sie macht sich deswegen Sorgen. Sie hat mit mir darüber gesprochen.«
»Aber er belohnt den Minister, der ihm die Königin verschaffte! Also ist er wohl doch mit seiner Ehe zufrieden. Er muss irgendetwas erfahren haben, aus irgendeinem Grunde wendet er sich von uns ab. Er belohnt Cromwell, und Cromwell war derjenige, der ihm seine neue Königin besorgte.«
»Ich versichere Euch, Mylord, ich habe Euch nichts verschwiegen. Der König ist nach der Fastenzeit fast jede Nacht in ihr Bett gekommen, aber es ist nicht besser geworden. Ihre Laken sind sauber, an ihren Zöpfen hat sich kein Härchen gelöst, ihre Nachtmütze sitzt ebenso gerade wie am Vorabend. Manchmal, wenn sie meint, dass niemand zusieht, fängt sie an zu weinen. Sie ist keine geliebte Frau, sondern ein gekränktes Mädchen. Ich schwöre, dass sie immer noch Jungfrau ist.«
Der Herzog ist so wütend, dass er mich anfährt. »Warum sollte er dann Cromwell zum Earl of Essex ernennen?«
»Das muss einen anderen Grund haben.«
»Welchen anderen Grund? Dies ist Cromwells großer Triumph, die Allianz der protestantischen Fürsten mit dem König, seine Allianz gegen Frankreich und Spanien, besiegelt durch die Ehe mit dem flandrischen Mädchen. Ich habe das Bündnis mit dem französischen König an der Hand. Ich habe dem König Verdacht gegen Cromwell eingeredet. Lord Lisle hat ihm erzählt, dass Cromwell die Reformatoren bevorzugt, dass er Häretiker in Calais versteckt. Cromwells Lieblingsprediger wird der Ketzerei angeklagt werden. Alles baut sich gegen ihn auf, aber dann bekommt er auf einmal die Earlswürde! Warum das? Weil die Earlswürde seine Belohnung ist. Und warum sollte der König Cromwell belohnen, wenn er nicht mit seiner Arbeit zufrieden ist?«
Ich bewege unschlüssig die Schultern. »Mein Gebieter, woher soll ich das wissen?«
»Weil es Eure Aufgabe ist!«, fährt er mich an. »Ihr seid an den Hof berufen worden, Ihr werdet eingekleidet, Ihr bekommt zu essen, damit Ihr alles über die Königin herausfindet und mir berichtet! Wenn Ihr nichts wisst, welchen Sinn hat dann Euer Aufenthalt hier? Welchen Sinn hatte es, Euch vor dem Schafott zu retten?«
Ich spüre, wie mein Gesicht starr wird vor Angst. »Ich weiß, was in den Gemächern der Königin vor sich geht«, sage ich leise. »Hingegen weiß ich nicht, was im Kronrat geschieht.«
»Und Ihr wagt anzudeuten, dass ich dies wissen sollte? Dass ich nachlässig wäre?«
Stumm schüttele ich den Kopf.
»Wie soll irgendjemand wissen, was der König denkt, wenn der König nur mit sich selbst Rat hält und den Mann belohnt, den er während der letzten drei Monate öffentlich ohrfeigte? Wie soll irgendjemand wissen, was gespielt wird, wenn Cromwell erst verantwortlich gemacht wird, dann aber über uns das Zepter schwingen darf als Earl, als
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