Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
tun, als seine Vernarrtheit vor neugierigen Blicken abzuschirmen.
Ich habe dies schon so oft gesehen. Seit ich ein kleines Mädchen war, lebe ich an Heinrichs Hof und habe ihn als verliebten Teenager erlebt, als verliebten Mann und nun als verliebten alten Narr. Ich erinnere mich, wie er Bessie Blount begehrte, dann Mary Boleyn und hernach deren Schwester Anne, dann Madge Shelton, Jane Seymour, danach Anne Bassett und nun diese hier, dieses hübsche Kind. Ich weiß genau, wie Heinrich aussieht, wenn er von einer Frau besessen ist: wie ein Stier, den man am Nasenring herumführen kann. Jetzt ist er an diesem Punkt. Wenn wir Howards ihn einfangen wollen: Nun ist es so weit.
Die Königin zügelt ihr Pferd, um neben mir zu reiten, und lässt Katherine Howard, Catherine Carey, Prinzessin Maria und den König vorausreiten. Ihr Zurückbleiben fällt ihnen kaum auf. Sie wird allmählich zu einem Nichts, zu einem Menschen ohne Bedeutung.
»Der König mag Kitty Howard«, bemerkt sie.
»Und Lady Anne Bassett«, gebe ich gleichmütig zurück. »Junge Menschen machen ihn fröhlich. Ihr habt die Gesellschaft der Prinzessin Maria doch auch genossen, nicht wahr?«
»Nein«, sagt sie brüsk, lässt sich nicht ablenken. »Er mag Katherine.«
»Nicht mehr als andere«, beharre ich. »Mary Norris ist auch eine Favoritin.«
»Lady Rochford, seid mein Freund: Was ich soll tun?«, fragt sie geradeheraus.
»Tun? Wie meint Ihr das, Euer Gnaden?«
»Wenn er ein Mädchen hat ...« Sie sucht nach dem richtigen Wort. »Eine Dirne.«
»Eine Mätresse«, berichtige ich hastig. »›Dirne‹ ist ein sehr schlimmes Wort, Euer Gnaden.«
Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Ach so? Also Mätresse.«
»Wenn er sich eine Geliebte nimmt, dürft Ihr dem keine Aufmerksamkeit schenken.«
Sie nickt. »Das ist, was Königin Jane getan hat?«
»Ja, in der Tat, Euer Gnaden. Sie hat es übersehen.«
Sie schweigt einen Moment. »Sie nicht dachte, dass sie eine Närrin war?«
»Man hält dies allgemein für eine sehr königliche Haltung«, erwidere ich. »Eine Königin beschwert sich nicht über ihren königlichen Gemahl.«
»Königin Anne das hat auch getan?«
Ich zögere mit der Antwort. »Nein. Königin Anne war sehr zornig, sie hat großen Krach gemacht.« Gott bewahre uns vor einem Sturm, wie er losbrach an dem Tag, als Anne Jane Seymour ertappte, die kichernd auf dem Schoß des Königs saß. »Damals war der König wütend auf sie. Und ...«
»Und?«
»Es ist gefährlich, den König zu erzürnen. Selbst wenn man die Königin ist.«
Darauf schweigt sie. Sie hat nicht lange gebraucht, um zu lernen, dass dieser Hof für die Unvorsichtigen eine Todesfalle ist.
»Wer damals war die Geliebte des Königs? Wo Königin Anne machte so viel Krach?«
Es ist heikel, dies der neuen Königin zu erzählen. »Damals machte er Lady Jane Seymour den Hof, und sie wurde die neue Königin.«
Sie nickt. Ich habe herausgefunden, dass sie immer dann, wenn sie besonders einfältig wirkt, am schärfsten nachdenkt.
»Und Königin Katharina von Aragon? Sie hat Krach gemacht?«
Nun bin ich auf einigermaßen sicherem Boden. »Sie hat sich nicht ein einziges Mal beim König beschwert. Sie hat ihn stets lächelnd begrüßt, was auch immer sie gehört hatte, was auch immer sie befürchtete. Sie war stets eine höchst zuvorkommende Gemahlin und Königin.«
»Aber er nahm Geliebte? Trotzdem? Mit so einer Königin? Die er geheiratet hatte aus Liebe?«
»Ja.«
»Und die Geliebte, sie war Lady Anne Boleyn?«
Ich nicke.
»Eine Hofdame? Ihre eigene Hofdame?«
Ich nicke wieder zu dem unerbittlichen Gang ihrer Logik.
»Also beide Königinnen waren vorher Hofdamen der Königin Katharina? Er hat sie gesehen in ihren Gemächern? Er sie dort hat kennengelernt?«
»So ist es«, bestätige ich.
»Er die Hofdame kennenlernt, während die Königin schaut zu. Er tanzt mit ihnen in ihrem Zimmer. Er verabredet sich vor ihren Augen?«
Ich kann dies nicht leugnen. »Ah, ja.«
Sie schaut nach vorn, zu Katherine Howard, die ganz dicht neben dem König reitet. Eben beugt er sich hinüber und legt seine Hand auf die ihre, als ob er ihre Zügelhaltung korrigieren wollte. Katherine schaut ihn an, als könne sie die Ehre dieser Berührung kaum ertragen. Sie beugt sich ein wenig zu ihm hin, als ob sie sich nach ihm sehnte. Wir beide hören ihr atemloses Kichern.
»So also«, sagt sie ausdruckslos.
Mir will keine Beschwichtigung einfallen.
»Ich sehe«, sagt die Königin. »Ich
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