Das Erbe der Lens
Ladora mit voller Kraft einen tödlichen Gedankenimpuls aus, der zu ihrer Überraschung bereits in den äußeren Abwehrzonen Karens gestoppt und derart bösartig gekontert wurde, daß ihr stärkster Block sofort zusammenbrach. Die Schmerzen in ihrem Gehirn waren unerträglich, und sie setzte zum Schreien an – doch sie konnte keinen einzigen Muskel rühren. Der kurze Blick in den unvorstellbaren Geist der Fremden enthüllte eine derartig Wut, daß sie furchtsam zurückwich. Und Furcht war ein Gefühl, das Ladora bisher nicht gekannt hatte.
»Ich hätte große Lust, Ihren Geist einmal richtig zu behandeln«, dachte Karen mühsam beherrscht. »Aber da es Mutters Angelegenheit ist, sich um diesen verdammten Planeten zu kümmern, möchte ich mich nicht einmischen. Sie würde mir gehörig die Meinung sagen. Das hat sie jedenfalls schon oft genug getan.« Ruhiger werdend fuhr sie fort: »Im Grunde scheinen Sie ganz in Ordnung zu sein – auf Ihre eigene verdrehte Art. Sie kennen es eben nicht anders. Ich sollte Sie besser gleich darauf aufmerksam machen, daß Sie mit einer Atombombe spielen, wenn Sie meine Mutter weiter so behandeln wie bisher. Es dauert nicht mehr lange, bis sie richtig wütend wird. Mein kleiner Ausbruch eben war nichts dagegen. Sie werden sich wünschen, niemals geboren zu sein. Mom läßt sich nichts anmerken, bis es soweit ist, aber sie ist älter und erfahrener als ich und weiß ihre Talente einzusetzen. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, wenn sie richtig loslegt. Nehmen Sie sich also in acht!«
Und mit diesem Gedanken wandte sie sich zu ihrer Mutter und küßte sie zum Abschied auf die Wange. »Habe dir ja gesagt, daß ich nur einen Augenblick bleiben kann. Ich muß mich wieder auf die Reise machen. Der lange Flug hat sich aber gelohnt. Raum-ho, Mom!«
Eine Minute später war sie verschwunden, und die Lens-Trägerin wandte sich wieder der Lyranerin zu, die sich von Karens Angriff noch nicht erholt hatte. Wie es in der Absicht ihrer Tochter gelegen hatte, hatte Clarissa von dem Zwischenfall nichts bemerkt.
»Meine Tochter«, sagte Clarissa zu sich selbst. »Eine von vier lieben Töchtern. Ich habe mich oft gefragt, wie es kommt, daß eine Frau mit meinen Fehlern und Schwächen solche Kinder hat.«
In ihrer Verwirrung nahm Ladora diese Worte nicht als das, was sie waren – sondern glaubte hinter ihnen eine besondere Bedeutung zu erkennen. Was sie im Geist der »lieben« Tochter geschaut hatte, ließ ihr keine Ruhe, und in der Erinnerung daran erschienen ihr die »Fehler« und »Schwächen« dieser höllischen Nicht-Person in einem ganz anderen Licht, und es lief ihr kalt über den Rücken.
»Wie Sie wissen, habe ich mich bisher nicht recht dazu entschließen können, Sie bei Ihren Bemühungen zu aktiv unterstützen«, sagte Ladora, als die beiden Frauen über das Flugfeld gingen und sich den geparkten Bodenwagen näherten. »Ich habe die Gewißheit, daß es in erster Linie um die Sicherheit und das weitere Fortbestehen meiner Rasse geht. Und die Möglichkeit ist nicht abzuleugnen, daß Ihre Behauptung, die Situation werde sich weiter negativ entwickeln, wenn wir nichts unternehmen, zutrifft. Die Entscheidung ist nicht leicht!« Ladora hatte Angst. Sie hatte versucht, Zeit zu gewinnen, und hoffte, daß die Hilfe, um die sie gebeten hatte, rechtzeitig eintreffen würde. »Ich habe bisher nur die Außenbezirke Ihres Geistes berührt. Würden Sie es gestatten, mir Zugang zu Ihrem Geist zu gewähren, damit ich mich von der Ehrlichkeit Ihrer Absichten überzeuge, ehe ich zu einem Entschluß komme?« Und schon schickte Ladora ihren Suchimpuls aus.
»Nein«, erwiderte Clarissa und ließ Ladoras Gedanken auf eine Barriere treffen, die mit Karens Abwehrzone identisch zu sein schien. Auf Lyrane kannte man Gedankenblocks dieser Art nicht, und Ladora hatte so etwas in ihrem ganzen Leben noch nicht ..., doch einmal, vor vielen Jahren, als sie noch ein Kind gewesen war, hatte sie sich in dem Versammlungsraum aufgehalten, als der verhaßte Kinnison aufgetaucht war.
»Entschuldigen Sie, ich wollte nicht gewaltsam in Ihren Geist eindringen«, fuhr Ladora geschickt fort. »Da mir Ihre Haltung ein Entgegenkommen sehr erschwert, kann ich im Augenblick noch keine Versprechungen machen. Was wollen Sie zuerst wissen?«
»Ich möchte gern mit Ihrer Vorgängerin sprechen, mit der Person, die wir Helena genannt haben.« Durch den Besuch ihrer Tochter erfrischt, war es jetzt nicht mehr Mrs. Kimball Kinnison, die
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