Das Erbe Der Loge: Roman
Leute aussaugen.
Und dann tritt in dieser Zeit ein gewisser Admiral Canaris auf die Bühne. Seines Zeichens seit Januar 1935 Chef der deutschen Abwehr und eine ebenso schillernde wie undurchschaubare Persönlichkeit. Ein Feingeist, aber auch ein genialer Stratege.«
Kögel verdrehte die Augen, aß den letzten Keks und schaute auf die Uhr. »Tut mir leid, Doktor. Aber jetzt habe ich wirklich noch einen wichtigen Termin.«
Kurz angebunden verabschiedete er sich, und der Propst drehte die Augen wie beim Gebet zum Himmel.
»Das wurde aber auch Zeit«, murmelte er. »Viel wäre mir nämlich bald nicht mehr eingefallen. Ich habe die Aufzeichnungen meines Vorgängers schon ziemlich ausgeschmückt. Hoffentlich haben Sie sich nicht auch gelangweilt. Aber ich konnte nicht anders, nachdem dieser Mann sich in meine Einladung an Sie einfach mit einbezogen hatte.«
Er kramte in seiner Jackentasche und zog eine Packung Zigarillos hervor.
»Stört es Sie, wenn ich rauche?«
»Ich bitte darum«, stimmte ich dieses Mal aus vollem Herzen zu.
Die ersten Schwaden durchzogen den Raum, und ich sog sie ein wie Weihrauch.
»Was sollten die Gruppen in Palästina und was wurde aus ihnen?«
Der Propst zog die Stirn in Falten und betrachtete die Glut des Zigarillos.
»Was sie sollten, ist nicht überliefert. Hier sind wir auf Spekulationen und unsere Geschichtskenntnisse angewiesen. Ich kann mir vorstellen, dass Canaris, der ein pragmatischer Mann gewesen sein muss und dem es egal war, welche ethnische Gruppe für seinen Geheimdienst arbeitete, sie als eine Art fünfte Kolonne eingesetzt hat.
Da diese Männer allesamt hochgebildet und weltgewandt waren, sollten sie auf der einen Seite die Logistik der aufrührerischen Juden und orthodoxen Christen im Norden stärken, damit die Mandatstruppen gebunden waren, die man sonst gegen Mussolinis Truppen in Abessinien hätte einsetzen können. Auf der anderen Seite sollten sie vermutlich Kontakte zu den arabischen Königshäusern suchen. Denn nichts war für die deutsche Wirtschaft wichtiger, als über ausreichende Ölvorräte zu verfügen. Und dafür waren diese hochkarätigen Bänker und Kaufleute die richtigen Leute.«
Der Propst stemmte sich aus dem Sessel hoch und holte aus einer mit Schnitzereien reich verzierten Truhe eine Flasche und zwei Gläser.
»Ich hoffe, Sie wissen einen zwanzig Jahre alten Cognac zu schätzen.« Er setzte, genussvoll mit der Zunge schnalzend, die Glasschwenker auf den Tisch und entkorkte die Flasche. Es machte den Eindruck, dass er froh war, endlich eine Gelegenheit zu haben, mit jemandem über die Geschichte dieses Kastens zu reden.
Nachdem wir uns gegenseitig die Einzigartigkeit dieses Getränkes versichert hatten, fuhr er fort.
»Ja, der Verbleib dieser zweiunddreißig Männer scheint eine Geschichte für sich gewesen zu sein. Da werde ich aus den Aufzeichnungen meines Vorgängers auch nicht richtig schlau. Es scheint so, dass sich die gesamte Gruppe nach Kriegsbeginn in Haifa der Haganah angeschlossen hat. Die muss sich aber bald in eine gemäßigte und eine militante Gruppe gespalten haben.
Die Gemäßigten arbeiteten weiter mit den Engländern zusammen, wogegen die anderen den Kampf gegen die Araber verschärften und ab zirka 1940 auch gegen die Briten vorgingen. Dabei muss ein größerer Teil dieser Canaris-Truppe wohl zum jüdischen Widerstand übergewechselt sein.«
Dr. Bongartz machte eine Pause und sah seinen Rauchkringeln nach, die wie kleine UFOs von der tief stehenden Abendsonne zu zarten Silberringen verzaubert wurden, bevor sie sich auflösten.
»So wie dieser Rauch ist manchmal unser Leben«, sinnierte er. »Voller Feuer beginnst du etwas, ballst deine Kraft, um dann festzustellen, dass dein Ansatz völlig falsch war. Dann löst sich alles in seine Bestandteile auf.
So muss es den zweiunddreißig Männern gegangen sein. Anfangs blieb ihnen keine Wahl, als Juden diesen Auftrag anzunehmen, um ihre Familien zu retten. Dann kam der Krieg und machte eine Heimkehr vollends unmöglich. Leidensgenossen, die Deutschland und die nunmehr besetzten Gebiete noch hatten verlassen können, berichteten von Deportationen in großem Ausmaß.
Können Sie sich vorstellen, was Sie machen würden, wenn die Hoffnung auf ein gutes Ende mit jedem Monat mehr schwindet? Die Chance, jemals Ihre Familie wiederzusehen, mit jeder ankommenden Information über Säuberungsmaßnahmen im großen Stil wie ein Schlag in den Magen ist? Diese Ungewissheit, ob die eigene
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