Das Erbe Der Loge: Roman
ernstem, fast versteinertem Gesicht schob sie einen Fünfziger unter das leere Bierglas und zog mich aus dem Lokal.
»Fährst du mich ins Hotel?«
»Du solltest dich anschnallen«, versuchte ich auf der Fahrt eine Regung von ihr zu provozieren.
Aber sie reagierte nicht und spielte weiter mit dem diamantenen Dreieck um ihren Hals und sah nur zum Fenster hinaus. Dass sie sich mit etwas beschäftigte, verriet nur das Spiel ihrer Kaumuskeln.
»Willst oder kannst du mir nicht sagen, was dich beschäftigt?«
Hannah befühlte mit einem Papiertaschentuch, ob ihre Lippen noch bluteten, und knurrte etwas, was wie »Ich bin eine dumme Kuh« klang.
»Sind das die Unterlagen vom Professor?« Sie deutete hinter sich, wo ich die Kladden und Zeitungen auf der Ladefläche und der umgeklappten Rückbank gestapelt hatte. »Die kommen mit aufs Zimmer. Vielleicht finden wir da einen Hinweis«, befahl sie mit einer Stimme, die Widerspruch nicht duldete, »und trottel hier nicht rum. Wir haben keine Zeit«, mäkelte sie an meinem Fahrstil.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis wir den Pförtner und den von ihm aus Verzweiflung gerufenen Empfangschef überzeugt hatten, dass durch meinen Schrotthaufen von Auto keine Schande fürs Hotel entstand, sondern dass dieses Fahrzeug eine Fracht enthielt, die unbemerkt auf das Zimmer von Hannah zu bringen war.
Über den Lieferanteneingang, einen Speiseaufzug und verpackt in zwei Wäschetrollys gelangten die Papiere endlich in Zimmer 810.
»Was soll dieser Aufwand?«, wollte ich schwer atmend wissen, nachdem ich die Pakete im Salon des Appartements nach Jahrgängen geordnet auf dem Boden verteilt hatte. »Außer Kögel weiß niemand, dass es diese Zeitungen gibt.«
Hannah machte wieder dieses Chamäleon-Gesicht, von dem ich nicht wusste, ob es der Teufel oder Engel in ihr war, der sich mir gerade darstellte.
»Genau das bezweifle ich.« Sie ließ sich auf den Sessel fallen, in dem sie schon einmal gesessen hatte, um mir das Tarot zu erklären. »Warum verweigert man dir dann den Zugang zum Archiv?«
Diesen Zusammenhang nicht zu erkennen konnte auch nur einem betriebsblinden Journalisten wie mir passieren.
»Ich habe mir deine erste Inhaltsangabe über den Kasten auf dem Weg nach Johannesburg durch den Kopf gehen lassen und nicht vergessen, dass du eine Erklärung über die Rohdiamanten gesucht hast. Anfangs hielt ich das für nicht wichtig. Gold und Diamanten waren zu jener Zeit das einzig wertbeständige Zahlungsmittel. Dann habe ich einem sehr, sehr alten Geschäftsfreund meines Großvaters und Vaters die Geschichte erzählt, und es stellte sich heraus, dass er einer dieser dreiunddreißig Männer war, die damals Deutschland verlassen mussten.«
»Zweiunddreißig«, verbesserte ich.
Hannah schenkte zwei Gläser mit Whisky randvoll ein. Ein mir schon bekanntes Ritual und ein Zeichen, dass ich heute Nacht kaum eine Chance haben würde, in meinem eigenen Bett zu schlafen.
»Es waren dreiunddreißig«, beharrte sie. »Keiner von uns hat daran gedacht, dass es auch noch den Fotografen gab, der bekanntlich hinter der Kamera steht.«
Auf die Idee würde tatsächlich niemand kommen, der nicht selbst dabei gewesen war.
Was hatte Kögel zu der Ausbildungskompanie 108 gesagt? Dass es sie nie gegeben hatte. Und wenn das so war, dann hatte der Mann hinter der Kamera kein Interesse daran, selbst auf einem »Scheinfoto« zu erscheinen.
»Und, was ist mit diesem überzähligen Mann?«, köderte ich sie mit ihrem unüberhörbaren Wunsch, mehr zu erzählen.
Hannah legte die Füße hoch und zündete sich eine Brasil an. Der Größe der Zigarre nach wurde es eine längere Geschichte.
»Die Geschichte, die mein Großvater dem damaligen Dompropst erzählt hat, war Tränendrüsen-Kino. Wahrscheinlich um diesen Kasten irgendwo unterzubringen. Köln muss so zerstört gewesen sein, dass er sich das einzige Bollwerk ausgesucht hat, das noch nahezu unversehrt geblieben war ...
... am 20. Januar 1936 landeten die dreiunddreißig Männer südlich von Sidon an.
Nachdem sie, mit über dem Kopf gehaltenem Koffer, durch das brusthohe Wasser an den Strand gewatet waren, empfingen sie zwei dunkel gekleidete Männer, die sie auf hinter dem Strand versteckte LKWs verteilten.
Sie waren nun im Gelobten Land. Aber auf der falschen politischen Seite. Sidon lag im französischen Mandatsgebiet des Libanon, aber ihr Bestimmungsort war Haifa in der englischen Zone.
»Wir fahren in die falsche Richtung«, murmelte
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