Das Erbe Der Loge: Roman
Sam. Ich mochte seine betont kühle Präzision, hinter der er zwar die Unsicherheit des jungen Mannes versteckte, die aber komplizierte Zusammenhänge in wenige Worte kleiden konnte.
»Ist Hauptkommissar Kögel bei Ihnen? Dann sagen Sie ihm, dass er über Funk gerufen wird. Und für Sie habe ich etwas ...«
Ich hielt das Mikrofon kurz zu. »Immer wenn man Sie braucht, haben Sie Ihr Handy vergessen.«
Kögel tastete seine Taschen ab und fluchte. Mit großen Schritten eilte er zu seinem Wagen, der vor dem Lokal geparkt war.
»... etwas, womit ich nicht weiterkomme.«
»Die Namen?«, fragte ich ins Blaue.
»Genau. Sie sollten sich das aber selbst ansehen.« Damit brach Sam die Verbindung ab.
»Ich muss weg«, hechelte der Kommissar. »Scheint sich dieses Mal um einen wirklichen Mord zu handeln. Banküberfall mit Todesfolge. Ich melde mich.«
Damit war ich allein mit all diesen stummen Zeugen der Vergangenheit.
Was sollte ich jetzt damit machen? Sie bargen Informationen, die wiederum einen Schlüssel benötigten, den ich nicht hatte. Den Schlüssel, um mehrfach geänderte Identitäten ins Heute zu übertragen.
Zweiunddreißig deutsche Geschäftsleute jüdischen Glaubens waren 1936 mit einer »arischen« Vita nach Palästina gegangen, um dort mit einer neuen englisch-jüdischen Legende eingeschleust zu werden. Einer von ihnen war noch einmal nach dem Krieg nachweislich in Köln gewesen, unter seinem wirklichen Familiennamen. Und die anderen? Welche Namen hatten sie dann angenommen? Wer von denen wollte mit den Tarotkarten etwas sagen, wem und vor allem warum?
Weil ich nicht alle Zeitungen in meinen Golf bekam, nahm ich nur die von Kögel aussortierten Unterlagen mit und rief einen befreundeten Spediteur an, den Rest bei sich einzulagern.
Da ich nicht die geringste Lust verspürte, heute noch jemandem über den Weg zu laufen, der meinte, mein Vorgesetzter sein zu müssen, erkundigte ich mich telefonisch beim Pförtner. Das Glück war auf meiner Seite. Die Chefetage befand sich geschlossen auf einer Verbandstagung.
Dementsprechend war die Stimmung in der Redaktion. Die meist hektisch aggressive Stimmung war einem kollegialen Schwätzchen bei Kaffee und Kuchen und manchem sonst unter Verschluss gehaltenen Tropfen gewichen.
Nur Sam machte ein selten ernstes Gesicht zwischen seinen Kopfhörern und stierte auf den Computerbildschirm.
»Kögel hat sich zurückgezogen«, murmelte er. »Hat ein SEK angefordert. Ist inzwischen Geiselnahme, aber schauen Sie sich das mal an ...«
Er deutete auf den Bildschirm, rief in der Datei »Archiv« das Jahr 1953 und unter Suchbegriff »Judentum in Köln« auf.
Es erschien ein Logo, wie es jeder kannte, der sich ins Internet einloggen wollte: Bitte Passwort eingeben.
»Das ist seit 11.00 Uhr und bei jedem Jahrgang von 1945 bis 1955 so«, schimpfte er. »Ich kann eingeben, was ich will. Sobald ich auf die Mikroverfilmung dieser Zeit zugreifen will, werde ich durch dieses verdammte Passwort abgeblockt.«
»Vorher ging es?«
Er hielt mir ein paar Ausdrucke hin, wobei einer den Artikel enthielt, den ich vor einer halben Stunde noch in Form der Originalzeitung in der Hand gehabt hatte.
»Seitdem ich den Namen, der da drinsteht, Krodenzky oder so ähnlich, zur weiteren Suche eingegeben habe, geht nichts mehr.«
Elf Uhr heute Morgen.
Zwanzig Minuten vorher hatte ich das Büro von Staatsanwalt Fröhlich verlassen.
»Können Sie das Passwort knacken?«
Im gleichen Augenblick wurde mir bewusst, dass ich mich mit dieser Frage in Sams Hand begab, und hieß mich einen Trottel. Noch sechs Jahre bis zur Pensionierung, und ich spielte James Bond. Dabei kannte ich diesen jungen Mann kaum, eigentlich überhaupt nicht. Vor fünf Monaten hatte ihn der Chefredakteur kurz als Volontär vorgestellt, der bei uns einen Teil seiner Ausbildung absolvieren würde.
Die anfängliche Skepsis von uns alten Hasen gegen Neulinge, die uns nur Zeit stahlen und Fragen über Vorgänge stellten, die wir als unser eigenes Betriebsgeheimnis betrachteten, war schnell gewichen. Sam hatte sich gleich nahtlos in die Redaktion eingefügt, als habe er noch nie etwas anderes getan.
»Ich meine, was kann man da tun?«, verschlimmbesserte ich mich.
Sam zog unmerklich die Augenbrauen hoch, sah mich aber nicht an.
»Es geht alles«, flüsterte er. »Am besten fragt man die Geschäftsleitung. Aber ich denke darüber nach.«
»Nein. Vergessen Sie es«, trat ich den einzig möglichen Rückzug an und machte mich
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