Das Erbe Der Loge: Roman
daran, meinen Artikel über die Geschehnisse der letzten Stunden zu verfassen.
14
Beim Schreiben des Artikels war mir auch optisch bewusst geworden, wie verworren die Situation war.
Ich saß buchstäblich auf einem Berg von Informationen, die hinten und vorne nicht zusammenpassen wollten. Die Karten waren der einzige rote Faden, der aber nur die frustrierende Erkenntnis zuließ, dass er noch nicht zu Ende gesponnen war.
»Wie soll das jetzt weitergehen?«, sinnierte ich in meiner Feierabendkneipe zum Fenster hinaus und beobachtete das Treiben der Leute um die Domplatte herum.
»Ich liebe bodenständige Männer«, krächzte eine unverwechselbare Stimme hinter mir. »Bei dir weiß ich wenigstens, wann man dich in welcher Kneipe finden kann.«
Hannah hauchte mir einen Kuss auf die Wange und musterte mich.
»Du siehst nicht aus, als hättest du viel geschlafen«, beendete sie die Prüfung.
»Was machst du denn hier?«
Etwas Dämlicheres fiel mir vor Überraschung nicht ein.
Ihre Augen blitzten kurz auf und verrieten einen Wimpernschlag lang, dass sie sich über meine unpassende Frage ärgerte.
»Ich habe dich höflicher in Erinnerung«, schmollte sie und kramte in der Handtasche, bis sie Zigaretten und Feuerzeug gefunden hatte.
»Bin mal gespannt, wann man uns Raucher unter Artenschutz stellt.« Genussvoll blies sie die ersten blauen Schwaden an die Decke. »Nicht einmal in der ersten Klasse darf man mehr rauchen. Es wird Zeit, dass ich nach Hause komme. Da hat man noch Verständnis für solch kleine Laster ... Und warum ich schon hier bin? Eigentlich wollte ich sagen: aus Sehnsucht nach dir. Aber das lasse ich wohl besser. Woran ist der Professor gestorben?«
Einen Moment stutze ich. Woher wusste sie vom Tod des Professors? Bisher hatte kein Pressemedium darüber berichtet, und mein Artikel erschien erst morgen.
»Keine Ahnung«, zuckte ich mit den Schultern.
»Die Obduktion ist noch nicht abgeschlossen. Vielleicht an den Tarotkarten, die man bei ihm fand.«
Hannah verzog das Gesicht, als habe der Zahnarzt beim Bohren einen Nerv getroffen.
»Karten? Tarotkarten?«, wiederholte sie mit sich überschlagender Stimme. »Hast du die selbst gesehen?«
»Ja, natürlich. Jede einzelne«, stotterte ich etwas verwirrt.
»Das meine ich nicht«, winkte sie ab. »Hast du gesehen, wie und wo die Karten beim Professor gefunden wurden?«
Die Frage war berechtigt. Ich war weder beim Fund des Professors auf dem jüdischen Friedhof zugegen gewesen, noch war ich mir sicher, dass die Karte im Halsband des Katers nicht von Kögel...
»Verdammt«, entfuhr es mir. Außer bei der Karte unter dem Sedan hatte ich mich darauf verlassen, was Kögel behauptet hatte. Auch bei den Karten des Baulöwen und bei Martin war ich nicht zugegen gewesen, und das Päckchen mit dem Hahnenkopf konnte auch von Kögel sein.
»Merkst du langsam etwas?« Hannah zog die Augenbrauen hoch. »Dieser Kommissar spielt ein Spiel. Dazu wirst du mir jetzt jedes noch so geringe Detail der letzten Tage erzählen, denn ich war auch nicht nur in Diamanten unterwegs.«
Ich erzählte, und ihr Gesicht spiegelte eine im Zaum gehaltene Schlacht der Gefühle wider.
Danach entstand eine Denkpause, in der der Feuerzeugdeckel in ihrer Hand unaufhörlich auf- und zuschnappte und die Schneidezähne eine rote Furche in ihre Lippen bissen. Dann schien sich eine Trance über sie zu senken. Mit halb geschlossenen Augenlidern murmelte ihr Mund mit blutverschmierten Zähnen Worte, die ich nicht verstand.
Das Plaudern an den Nachbartischen wurde weniger und verstummte dann ganz. Ich fühlte die Blicke der Leute wie Nadeln auf mir ruhen, traute mich aber nicht, in die Runde zu sehen.
Hannahs Stimme wurde lauter und glich jetzt in der Intonation einem Gebet.
»Geht es Ihrer Partnerin nicht gut? Soll ich einen Arzt rufen?«, fragte der Köbes mit weit aufgerissenen Augen, die besorgt prüften, welche Wirkung dieses Schauspiel auf seine Gäste haben würde.
»Nein, verdammt«, fuhr ihn Hannah an, die nur darauf gewartet zu haben schien, dass sie jemand mit einem Stichwort aus der Hypnose holte. »Ich habe nur ein Gedicht aufgesagt«, schlug sie einen versöhnlichen Ton an und bestellte eine große Runde für die Umstehenden.
»Was war das denn?«, erkundigte ich mich leise, nachdem wir uns alle zugeprostet hatten und der übliche Feierabend-Lärmpegel wieder durchs Lokal schwang.
»Ich habe mich bei meinem Großvater öffentlich entschuldigt. Lass uns gehen.«
Mit
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