Das Erbe Der Loge: Roman
sagte nichts.
Unbeirrt fuhr der Rabbi in seiner ausschweifenden Erklärung fort.
»Ich habe alle mir bekannten Erklärungen der Schriftgelehrten studiert, bin aber zu keinem greifbaren Ergebnis gekommen. Daraufhin musste ich mich über das Internet mit Spezialisten in Verbindung setzen ...«
»Was kam da raus?«, seufzte Hannah und begann das Spielchen mit dem Feuerzeugdeckel.
»Wenn Sie rauchen möchten«, der Rabbi schaute über seine Brille hinweg, »im Flur steht ein Aschenbecher. Darf ich in Ruhe fortfahren?«
Das Feuerzeug schnappte ein letztes Mal aus Protest und verschwand in der Handtasche.
»Dass doppelte Punkte benutzt wurden, ist reine Irritation. Auch standen diese keineswegs immer dort, wo im Hebräischen ein Vokal angezeigt werden sollte.«
Der Rabbi lehnte sich zurück und genoss die Spannung, die sich aufbaute, wie ein Artist, dessen oberste Kür mit einem Trommelwirbel angekündigt wurde.
Betont langsam putzte er sich wieder die noch nicht verschmutzten Brillengläser.
»Ich bedaure, zugeben zu müssen«, beugte er sich wieder über das Buch, »dass ein Kollege aus New York die richtige Idee hatte. Sehen Sie...«
Mit einem frisch gespitzten Bleistift deutete er auf die markierten Worte.
»... die Position, an der die Markierung steht, ist entscheidend.«
Wir drei schoben die Köpfe über den Seiten zusammen, und der Rabbi setzte ein triumphierendes Lächeln auf.
»Verstehe ich nicht«, gab ich zu und lehnte mich enttäuscht zurück.
»Ist doch ganz einfach, wenn man Hebräisch lesen kann.«
Es klang wie ein Trost. Aber nicht für mich und ich dachte an das Buch in meiner Tasche.
»Wenn man jeden Buchstaben vom Satzanfang ab zählt, dann steht der ›Umlaut‹ an der Stelle, die einem Buchstaben im lateinischen Alphabet entspricht. Und jeweils zwei gegenüberliegende Seiten bilden einen Namen. So einfach ist das.«
Während ich noch versuchte, diese Erkenntnis für mich nachzuvollziehen, reagierte Hannah bereits.
»Wie viele Namen enthält dann dieses Buch?«
Der Rabbi suchte in der Mappe und zog ein Blatt hervor.
»Hier, ich habe sie aufgeschrieben. Es sind genau einunddreißig.«
Hannah nahm das Papier an sich, überflog es kurz und ließ es zusammen mit dem Buch in ihrer Tasche verschwinden.
»Das ist für Sie, Rabbi.« Sie schob einen Umschlag über den Tisch und stand abrupt auf. »Herzlichen Dank für Ihre Mühe. Unsere Zeit drängt. Komm, Joshua.«
Mit einem »Wir sehen uns!« zu mir verließen beide den Raum, als sei der Teufel plötzlich hinter ihnen her.
Es war alles so schnell gegangen, dass sich der Rabbi zum Abschied erst erhob, als sich Hannahs Absätze bereits klappernd über den Flur entfernten.
Was sollte ich jetzt mit meinem Buch machen? Ich konnte kein Hebräisch und hatte auch nicht vor, es in näherer Zukunft zu lernen.
»Diese jungen Leute haben nie Zeit«, murmelte der Rabbi kopfschüttelnd und prüfte den Inhalt des Umschlages. »Aber Zeit ist Geld«, strahlte er und verschloss zufrieden das Kuvert im Schreibtisch.
Ich saß noch wie angewachsen auf meinem Stuhl und überlegte krampfhaft, was jetzt zu tun war.
»Essen Sie wenigstens mit mir? Es gibt Lattkes. Habe ich frisch machen lassen. Nicht aufgewärmt aus der Mikrowelle oder tiefgefroren.«
Bei seiner Einladung fiel mir dieser scheußliche »Gefillte Fisch« ein, und mein Magen schrie: Bloß nicht! Aber ich musste mich zusammenreißen, sonst war das Buch für mich wertlos.
»Ja, gerne. Wenn es keine Umstände macht.«
»Es macht keine«, lächelte er. »Ich hatte mit vier Personen gerechnet. Bitte kommen Sie.«
Er führte mich in einen Raum im Erdgeschoss, der wie eine Gemeinschaftsküche mit Tischen und Stühlen eingerichtet war. Auch hier herrschte die Schmucklosigkeit vor, die den Augen keinen Halt, keinen Fixpunkt bot, so wie ich es aus katholischen Kirchen kannte.
Wir nahmen an einem Tisch Platz, der für vier Personen gedeckt war.
Lattkes stellte sich als ganz harmlose Kartoffelpuffer heraus, denen nur ein gewisses Quantum an Karotten und als Gewürz Paprika und Basilikum beigemengt waren. Dazu gab es mein Lieblingsgetränk, Bier.
Zehn Lattkes später - das Zeug schmeckte wirklich gut - prosteten wir uns zu.
»Das deutsche Reinheitsgebot beim Brauen ist ein Segen für die gläubige Küche«, schmunzelte der Rabbi. »Bier ist koscher. Aber darf ich fragen, was Sie hierher führt?«
Eine gute Frage. Nach dem Abgang von Hannah war mir auch nicht mehr klar, warum sie mich
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