Das Erbe Der Loge: Roman
Darstellungen ein Oben und Unten zu erkennen. »Das sind Teile eines Konstruktionsplanes für einen Druckwasserreaktor«, erklärte er, sammelte die Kopien wieder ein, steckte sie in die Mappe zurück und zog die Verschlussbänder über die Ecken.
Es entstand eine lange Pause, in der Odilo an meinem Gesicht abzulesen schien, was in meinem Gehirn vorging, untermalt von einem gelegentlichen Getrappel von weiblichen Schuhen auf dem Gang.
»Habe mir schon gedacht, dass du jetzt überhaupt keinen Ansatzpunkt mehr für eine Story siehst«, grinste er, ließ seinen Bürohochsitz hinunterfahren und trippelte zur Tür. »Komm mit. Ich zeichne dir jetzt meine Hypothese auf.«
Was folgte, war die perfekte Inszenierung eines Genies.
In einem mit allen erdenklichen Geräten ausgestatteten Sitzungsraum stellte er mir optisch dar, wie er die Situation sah, und ich musste anerkennen, dass er mir nicht nur während der Schulzeit in der Konsequenz seines Denkens überlegen gewesen war.
Mir fiel dazu nur die Aussage eines Schachgroßmeisters ein, der gute und schlechte Schachspieler einfach dadurch trennte, indem er verglich, wer wie viele Züge des Gegners im Voraus berechnen konnte.
Reichlich verwirrt, aber immerhin im Besitz einer logischen Story verabschiedete er mich weit nach fünf Uhr mit einem Rundruf über die Haussprechanlage:
»Frau Susanne Krodolsky, bitte melden Sie sich bei Schweinitz im Seminarraum.«
»Warum tust du das alles für mich?« Ich ging in die Hocke und konnte nicht umhin, ihn in den Arm zu nehmen.
»Weil du ein armseliges Arschloch bist, das so nie ein Zuhause finden wird.« Er schlang seine kurzen Arme um mich. »Und jetzt lass mich los. Sonst denkt noch jemand, dass wir schwul sind.« Er befreite sich und wischte ein paar Tränen aus den Augenwinkeln. »Hier seid ihr«, platzte Susanne herein. Ich dachte schon ...« »Denken Sie nicht so viel«, knurrte Odilo mit abgewandtem Gesicht. »Sehen Sie lieber zu, dass dieser Komiker das Gelände verlässt, ohne eine Palastrevolution mit den Sicherheitskräften anzuzetteln ... und, Peter, denk daran, deine Erbanlagen sind wahrscheinlich stark geschädigt. Du warst zu lange mit dem Kasten zusammen.«
20
Ein Pendelbus, der die Arbeiter und Angestellten bei Schichtwechsel zu den Werktoren beförderte, lieferte uns am Haupttor ab.
Susanne hatte mich die ganze Zeit nur angesehen, aber nichts gesagt. Sie holte mein zurückgelassenes Handy aus der Pförtnerei und nahm mich bei der Hand.
»Magst du reden? Ich bin eine sehr gute Köchin.«
Erbanlagen gestört, Impotenz, Siechtum durch von Krebs zerfressene Zellen spukte wie ein Millionen Volt schwerer Blitz durch mein Gehirn und fand an den Schädeldecken keinen Ausgang.
Verdammt noch mal, ich wollte und musste reden. Aber wo sollte ich anfangen?
Als optisch gepolter Mensch konnte ich nicht so einfach aus dem hohlen Bauch reden. Meine Gefühle bedurften der Schriftform, und die brauchte Zeit.
Erbanlagen geschädigt.
Warum hatte Odilo das erst im Beisein von Susanne gesagt? War er besorgt darum, dass nicht wissentlich Krüppel zwischen uns gezeugt werden, oder war er nur eifersüchtig?
Meine Gedanken schienen in Susannes Hand überzugehen und von dort in eine Art telepathisches Verständnis zu transferieren.
»Mach dir keine Gedanken. Ich kann eh keine Kinder mehr bekommen«, lächelte sie fast entschuldigend, und: »Der Graf sammelt alle deine Artikel. Er scheint stolz auf dich zu sein. Unterstell ihm bitte nichts Negatives. Einen besseren Freund findest du nicht.
Was glaubst du, wie er diese außerplanmäßige Untersuchung dem Finanzvorstand erklären kann? Es gibt dafür keine Auftragsnummer, die diesen Aufwand rechtfertigt. Außerdem muss er die Radioaktivität begründen, die Tausende an Entsorgung kosten wird. Aber kleine Menschen und kleine Staaten wissen sich in ihrer Not immer zu helfen. Dazu gehören nun auch mal unorthodoxe Methoden.«
Mir fehlten einfach die Worte, und ich erwiderte nur dankbar ihren Händedruck, versuchte das heulende Elend hinunterzuschlucken.
»Scheiße«, entfuhr es mir, als wir uns dem Parkplatz näherten.
Ich drückte Susanne meinen Autoschlüssel in die Hand.
»Warte bitte hier, bis ich weg bin. Dann nimm bitte den dreckigen Golf da vorne und fahr zu dir nach Hause. Ich komme später vorbei.«
Ohne auf ihr fragendes Gesicht zu reagieren, schritt ich auf den schwarzen BMW zu, der in Höhe meines Wagens parkte.
»Neue Freundin? Könnte mir gefallen. Ich stehe auf
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