Das Erbe Der Nibelungen
verriet.
Island oder Tod, Tod oder Island - eine ganze Woche lang sah es so aus, als wäre der Tod Sieger dieses ungleichen Kampfes. Bis eines Nachts eine blinde Frau in den verlassenen Stall kam, mit einer seltsam übelriechenden Paste, die sie Danain gab, um Calder zu retten. Es war ein Angebot, das den Rebellen zu verdächtig gewesen wäre, hätten sie irgendeine andere Wahl gehabt. So aber schmierte Danain das fettige Schmalz aus dem kleinen Tiegel auf die Wunde und wartete weiter. Es war die Nacht, in der Calders Fieber schwand und endlich kein Eiter mehr die Verbände tränkte.
Weitere drei Tage, und Calder ging es gut genug, um auf einem heimlich vom Kai gezerrten Boot die Reise nach Island anzutreten. Dabei passierten sie die verbrannten Überreste eines Schiffes, von dem sie nicht ahnen konnten, dass es Brynja und Sigfinn nach Fjällhaven gebracht hatte.
So standen die beiden Freunde an Deck, als dunkel und einsam der nackte Fels von Island am fernen Horizont auftauchte.
»Eine Insel, nur für uns«, sagte Calder.
Danain verzog das Gesicht. »Island gehört niemandem. Die Leute sagen, die Insel verabscheue das Leben.«
»Das hat sie mit dem Rest des Reiches Hurgans gemein«, hielt Calder dagegen. »Was könnte dort schlimmer sein als das, was hinter uns liegt?«
»Es ist meine Erfahrung«, gab Danain zu bedenken, »dass es immer schlimmer kommen kann. Es scheint, als sei dem Ausmaß des Unglücks keine Grenze gesetzt.«
Calder drehte den Ring an seinem Finger, und eine warme Entschlossenheit durchströmte ihn. »Große Dinge liegen vor uns. Ich kann es spüren. Hurgans Reich bebt bis in seine Grundfesten.«
Danain schrieb die Worte dem immer noch nicht ganz überwundenen Fieber zu.
Sigfinn fiel es nicht leicht, allein unterwegs zu sein. Zu vieles, was er aus seiner Zeit kannte, galt in diesem dunklen Jahrhundert nicht mehr. Orte, die ihm hätten vertraut sein sollen, wirkten fremd oder waren ganz vom Erdboden verschluckt worden. Ohne Brynja an seiner Seite klammerte sich die Einsamkeit kalt an seine Seele, und nie legte er sich schlafen, ohne an sie zu denken - nicht in Lust, wie er es früher getan hatte, sondern in Sorge.
Talhö, Fercha, Laichfeld: Der Prinz gab sich größte Mühe, nicht aufzufallen, sich nicht in Gespräche verwickeln zu lassen. Zu einem empörend schlechten Kurs hatte er die Münzen mit dem Konterfei seines Vaters eingetauscht gegen das, was die Bewohner des Reiches »Drachenthaler« nannten - einfache, grob geprägte Silberstücke verschiedener Gewichte, die auf der einen Seite eine Klaue und auf der anderen ein Schwert zeigten. Man erklärte ihm, dass damit das unverbrüchliche Bündnis von Hurgan und Fafnir
ausgedrückt werde. Es schmerzte ihn jedes Mal, wenn er eine der Münzen in die Hand nehmen musste.
Sigfinn konnte nicht wissen, wie viel Hurgan über ihn in Erfahrung gebracht hatte, darum gab er sich für die Reise einen neuen Namen: Ragnar. Wurde er gefragt, gab er vor, zwischen den Provinzen als Kurier der Obrigkeit unterwegs zu sein. Die meisten Menschen duckten sich dann schon von ihm weg - die Angst vor der Horde machte sie ängstlicher, als sie neugierig waren.
Eine andere Eigenschaft, die er brauchte, um nicht aufzufallen, war für Sigfinn mühsam zu lernen: im düsteren Reich des Drachen sprach man anders, als er es gewohnt war. Die Worte klangen oft abgehackt, aller feinen Wendungen beraubt. Harte Klänge dominierten, und weichen Endungen war ein unangenehmes Zischen hinzugefügt worden. Jede Eleganz und Kultur war einer Zwecksprache gewichen. Namen hatten andere Schreibweisen, Städte andere Namen.
Sigfinn lernte, dass Hurgan sein ganzes Reich Burgund genannt hatte, aber der Name sich über die Jahrzehnte in »Burant« gewandelt hatte. Andere Länder gab es auf dem Kontinent nicht mehr, bis weit zum Süden, wo die Mauren verzweifelt ihre letzten Territorien verteidigten. Das klassische Burgund bezeichnete immer noch das Kernreich am Rhein, mit Worms zur Hauptstadt. Worms war alles, heilig und verflucht zugleich.
Sofern der Mond hell genug stand, ritt Sigfinn nachts, tagsüber schlief er, um Begegnungen mit Fremden zu vermeiden. Eine Karte, die er von einem Chronisten gekauft hatte, half ihm, in wenigen Wochen abseits der großen Handelsrouten Richtung Worms zu reiten. Trotzdem traf er auf Patrouillen der Horden-Armee - das ganze Reich war von
ihnen verseucht. Ein alter Bauer hatte Sigfinn erzählt, dass Hurgan aus jungen Männern tumbe Krieger
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