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Das Erbe Der Nibelungen

Titel: Das Erbe Der Nibelungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein , Torsten Dewi
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der Dunkelheit des Zeltes, das sie mit vielleicht dreißig anderen Frauen teilte, hörte sie leises Schluchzen und Stöhnen. Es war die einzige Zeit, in der Sklavinnen sich ihrer Trauer hingeben konnten, ohne von den Horden-Kriegern ausgepeitscht zu werden.
    Brynja erschrak, als eine Gestalt sich an ihr Lager setzte. Doch es war nur Rahel. »Du schläfst zu wenig.«
    Brynja drehte sich weg. »Du scheinbar auch.«
    Rahel gelang es tatsächlich, leise zu lachen - ein unerhörtes Geräusch an diesem Ort. »Ich brauche wenig Schlaf, wenig Essen und wenig Gnade.«
    »Wie kann das sein?«
    Die Sklavin legte Brynja eine Hand auf den Arm - eine starke, vernarbte, lederne Hand. »Was ich durchgemacht habe in meinen dreißig Jahren, war Schule für das, was wir hier erleben. Das Essen mag schlecht sein - aber es ist Essen. Das Lager mag verwanzt sein - aber es ist ein Lager. Mehr, als ich in deinem Alter hatte.«

    Brynja setzte sich in der Dunkelheit auf. »Erzähl mir von deinem Leben.«
    Rahel zog eine Rübe aus dem Hemd, brach sie mit bloßen Händen und gab eine Hälfte an Brynja weiter. »Ich kenne keine Eltern, keine Heimat. Als Kind bin ich im Schmutz der Wormser Armenviertel erwacht und musste immer schon stehlen, was ich brauchte. Ich habe nichts gelernt, und mein Körper reizt die Männer nicht genug, um ihn verkaufen zu können. Du hingegen …«
    Brynja hörte auf zu kauen, als Rahels Hand über ihren nackten Arm strich. »Was meinst du damit?«
    Rahel lachte wieder, diesmal freudloser. »Es gibt einen Weg aus dem Lager, obwohl es keinen Ausgang gibt. Hurgan hält die Herrscher jenseits der Reichsgrenzen ruhig, indem er sie besticht, und das nicht nur mit Gold. Immer wieder kommen die Statthalter von der anderen Seite zur Inspektion, und immer wieder nehmen sie mit, was ihren Augen gefällt.«
    Das Laken vor dem Eingang des Zelts wurde energisch beiseitegestoßen, und ein Horden-Krieger sah herein. Rahel duckte sich schnell und schlich zu ihrem Lager zurück.
    Brynja hielt den Atem an, bis die Wache wieder ging. Rahels Worte klangen in ihrem Kopf nach. Demnach gab es die Wahl, Feld-Sklavin zu sein oder Lust-Sklavin - wenn man einen der Statthalter für sich einnehmen konnte. Schon der Gedanke brachte ihr Übelkeit.
    »Niemals«, flüsterte sie entschlossen. Niemals wieder würde ein Mann gegen ihren Willen über ihren Körper verfügen.
    »Sag das nicht«, flüsterte eine raue Stimme aus dem Dunkel, und Brynja brauchte einen Augenblick, bis sie merkte,
dass es nicht Rahel war. Eine schlanke, große Frau saß am Ende ihres Lagers, älter als alle anderen Sklavinnen, und selbst in der Dunkelheit konnte Brynja erkennen, dass die Frau zwei tote Höhlen hatte, wo Augen sein sollten.
    »Nimm dich in Acht vor den Wachen«, warnte Brynja.
    Die seltsame alte Frau reagierte nicht darauf. »Sag nicht, dass du deinen Körper nicht geben wirst, um zu erreichen, was erreicht werden muss. Er ist deine Waffe, deine Währung, deine Wahl.«
    »Er ist mein«, flüsterte Brynja zornig, »und ich gebe ihn nur dem, der zuvor mein Herz bekam.«
    Die Seherin, denn das war sie, schüttelte langsam den Kopf. »Und wenn dein Körper dir Freiheit schenkt? Die Reise nach Worms? Das Wiedersehen mit Sigfinn? Wäre er den Preis nicht tausendfach wert?«
    Brynja horchte erstaunt auf. »Du weißt von … Sigfinn?«
    »Und von so viel mehr. Helfen kann ich dir nicht, doch einen Rat kann ich dir geben: um weniger zu bekommen, als du begehrst, haben die Frauen dieses Reiches viel mehr gegeben. Für die Liebe haben sie sich geopfert und für den Hass. Wenn du dazu nicht bereit bist, fließt kein echtes Burgunder Blut in deinen Adern.«
    Brynja dachte an Sigfinn, und die Sehnsucht presste ihre Brust. »Wie kann ich es anfangen?«
    Die Seherin stand auf. »Halte deinen Blick aufrecht, nicht zu Boden. Sieh in Dingen und Menschen deine Möglichkeiten. Nutze sie. Zu euer beider Vorteil.«
    »Dann werden Sigfinn und ich zusammen sein?«, fragte Brynja, als plötzlich ein Krampf von ihrem Magen in den Hals kroch und sie sich heftig übergab.
    »Ich meine nicht Sigfinn und dich«, antwortete die Seherin. »Ihr beide - bist du.«

    Dann war sie verschwunden, und Brynja konnte nicht sagen, ob sie einfach leise gegangen oder in die Schatten geflossen war.
    Ihr beide - bist du.
    Wie Wasser schwappte der Gedanke in Brynjas Kopf hin und her, gesellte sich zu ihrer Übelkeit, brachte die Erinnerung an Calder - und als die Prinzessin sich mit der Hand über den Bauch

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