Das Erbe der Pandora
es
wissen, falls etwas...« Ihre Stimme ebbte ab. »Könnten Sie nicht mit Kip
reden? Ich weiß nicht, was ich tun soll. So habe ich ihn noch nie gesehen. Ich
mache mir Sorgen um Brianna.«
»Sicher.«
»Ich glaube nicht, daß er Brianna
etwas antun würde, aber ich verstehe einfach nicht, warum er sich so über ihr
Bild aufgeregt hat. Ich finde, sie sollte malen. Wir müssen herausfinden, was
genau sie gesehen hat. Sie meinte, sie hätte auch solche Bilder gemalt, als sie
bei Bridgets Eltern war.«
»Wirklich?«
»Ich frage mich, ob Natalie sie hat.«
Iris erwiderte darauf nichts, war aber
entschlossen, zu den Tylers zu gehen, bevor Summer die Gelegenheit dazu hatte.
Summer trocknete ihre Augen zu Ende
und legte die durchtränkten Taschentücher in einem Haufen auf den Schreibtisch
von Iris. »Danke, Iris. Ich habe Sie immer für einen wirklich guten Menschen
gehalten. Es war mir einfach ein Bedürfnis, es jemandem zu erzählen, was in dem
Haus vor sich geht. Ich wünschte, ich hätte so eine Freundin wie Sie.«
»Danke. Das ist sehr nett.« Iris
dachte über Summers Bemerkung nach. Sie konnte sich nicht daran erinnern, sie
je mit einer Freundin gesehen zu haben oder sie von einer sprechen hören. Das
gleiche galt für Verwandte. Sie hatte sich nie viel Gedanken über Summer
gemacht, bevor Bridget ermordet worden war. Jetzt wurde ihr klar, daß sie kaum
etwas über sie wußte.
Sie begleitete Summer zur Eingangstür
der Bürosuite und verabschiedete sich am Aufzug von ihr. Gerade als Iris in die
Wertpapierabteilung zurückkehrte, verließ Evan wieder einmal seinen Arbeitsplatz.
Sie folgte ihm wie zufällig und kam noch rechtzeitig in die Lobby, um zu sehen,
wie er mit Summer zusammen den Aufzug betrat.
24
D er Verkehr auf der 10 Richtung Westen
war fast zum Stillstand gekommen. Iris wechselte von ihrem FM-Sender mit dem
leichten Jazz und drückte auf die Speichertasten des AM-Bandes und hörte in
ihre bevorzugten Nachrichten- und Talksender hinein. Nach einiger Zeit stieß
sie auf die Verkehrsnachrichten — etwa im gleichen Moment tauchte eines dieser
riesigen, blinkenden Verkehrsschilder am Horizont auf. Ein Wort sagte alles: Unfall. Nachdem sie sich ein
paar hundert Meter weiter vorgerobbt hatte, konnte sie den genauen Ort, die
Anzahl der betroffenen Autos und die Schwere der erlittenen Verletzungen
ausmachen, aber es spielte keine Rolle. Von einem verbogenen Kotflügel bis zu
einem Auffahr-unfall mit zig Beteiligten hätte es alles sein können. Die
überempfindlichen Fahrer von L.A. reagierten darauf immer auf dieselbe Art und
Weise. Der Verkehr kam zum Stillstand.
Ein dicker Regentropfen klatschte
gegen ihre Windschutzscheibe. Schnell folgte ein zweiter. Iris spähte durch das
Fenster und schaute geringschätzig zum bedrohlich wirkenden Himmel hinauf.
»Genau das kann ich jetzt gut
gebrauchen«, meinte Iris sarkastisch. »Ein kleiner Regenguß.«
In L.A. kann ein leichter Nieselregen
ebensogut ein Schneesturm sein, zumindest was die Auswirkungen auf den Verkehr
betreffen. Die Bewohner von Los Angeles können sich fast mit jedem
schrecklichen Ereignis abfinden, aber eine Beeinträchtigung ihrer täglichen
Fahrt zur Arbeit ist eine wirkliche Katastrophe für sie. Die armen, kleinen
Pflänzchen.
Iris ging in Gedanken mögliche
Ausweichstraßen durch. Alle schienen beträchtliche Komplikationen mit sich zu
bringen. Der Freeway — auch wenn es jetzt nur langsam voranging —bot einen
direkten, sicheren Weg zu ihrem Ziel. Sie blieb, wo sie war, und holte ihr
Handy heraus. Sie rief Natalie Tyler, Bridgets Mutter, an und erzählte ihr von
Summer Fontaines Besuch.
»Brianna hat tatsächlich Bilder von...
von dem, was passiert ist, gemalt«, gestand Natalie. »Erzähl es bitte nicht
Kip, aber ich habe deswegen bei einer Kinderpsychologin angerufen. Sie wollte,
daß ich mit Brianna vorbeikomme, aber ich hatte Angst. Kip hat deutlich gesagt,
daß er dagegen ist, daß Brianna irgendwelche Psychologen sieht, und ich wollte
nicht, daß er unsere Enkelin von uns fernhält, wenn wir seinen Willen
ignorieren.«
»Was hat die Ärztin gesagt?«
»Daß alles, was Brianna macht, um das
Gesehene zu verarbeiten, gut für sie ist. Alles — reden, spielen, malen.«
»Haben Sie die Bilder noch?«
»Ich wollte sie wegwerfen, aber
irgendwas sagte mir, daß ich es nicht sollte, daß sie wichtig waren.«
»Sieht man... irgend etwas darauf?«
»Nichts, was den Mörder identifizieren
könnte. Da ist diese
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