Das Erbe der Pandora
flüsterte Mick zu, der nun eine Skizze von Toni anfertigte: »Sie
hält eine Lobrede?«
»Sie wollte es«, antwortete er.
Toni machte einen überraschend
gesetzten Eindruck, als sie am Podium stand. Sie hatte ihre modische Kleidung
gegen ein perfekt sitzendes, schwarzes, knielanges Kostüm eingetauscht. Ihr
volles Haar wurde im Nacken von einer schwarzen Schleife zusammengehalten. Sie
räusperte sich und fing an.
»Ich lernte Bridget Cross vor fünf
Jahren kennen, als ich mich um einen Job als Telefonistin bei Pandora bewarb.
Ich hatte nach zwei Jahren gerade mein Studium abgebrochen. Mein Leben verlief
ziellos und in vielerlei Hinsicht auch hoffnungslos. Ich kam in Kontakt mit
Drogen...«
Iris sah Mick überrascht an, der mit
einem weisen Nicken antwortete.
»...und einer leichtlebigen Clique,
und mein Leben geriet außer Kontrolle. Aber ich brauchte Geld und sah die
Anzeige, die Bridget in die Zeitung gesetzt hatte. Im Laufe der Jahre habe ich
Bridget und Kip gegenüber immer wieder meine Verwunderung darüber zum Ausdruck
gebracht, daß sie mich eingestellt haben.« Toni kicherte. »Ein paarmal wollte
Bridget mich fast feuern, aber wir schafften es, unsere Probleme zu bereinigen.
Mit Bridgets Hilfe wurde ich bei Pandora erwachsen. Sie glaubte an mich, wenn
ich es selbst nicht tat. Ich bewunderte ihre Entschlossenheit, ihren Weitblick,
ihre Intelligenz und ihren Mut und vor allem ihren leidenschaftlichen Einsatz
für die Firma, die sie und Kip aufgebaut hatten. Jetzt bin ich die Verkaufs-
und Marketingleiterin. Ich verdanke meinen Erfolg Bridget Cross.«
Toni versagte fast die Stimme. »Ich
weiß nicht, was ich ohne sie machen soll. Schon während der vergangenen Woche
hätte ich sie Tausende Male so gern um Rat gefragt.« Sie zog ein Taschentuch
aus dem Ärmel und tupfte sich über die Augen. »Trotz ihres vollen
Terminkalenders, der durch die Leitung einer Firma und ihr Leben als Ehefrau
und Mutter ausgefüllt war, opferte Bridget Cross ihre übrige Zeit selbstlos den
Schulkindern und der Verbesserung der Ausbildung von Kindern. Zusammen mit
meinen beiden engen Freunden bei Pandora, Today Rhea und Mick Ha, möchte ich
ihre Arbeit fortführen. Wir gründen die Bridget-Cross-Stiftung, deren Ziel es
sein soll, die Computerausbildung an öffentlichen Grundschulen zu fördern.
Unsere Arbeit wird auch daraus bestehen, Hardware und Software anzuschaffen und
die Gehälter für entsprechende Lehrkräfte zu sichern. Bridget wußte, daß die
Zukunft im High-Tech-Bereich liegt und daß wir mehr Anstrengungen unternehmen
müssen, um dieses mächtige Werkzeug unseren Kindern in die Hände zu legen, wenn
wir wollen, daß unser Land in den nächsten Jahrzehnten gedeihen soll.«
Iris verlor die Kontrolle über sich.
Sie griff nach den Papiertaschentüchern, die sie sich in die Tasche gesteckt
hatte für den Fall, daß so etwas passierte. Aber sie war nicht allein. In der
ganzen Kirche wurde zunehmend geweint. Iris sah zu Mick, der sich voll und ganz
auf seine Zeichnung konzentrierte, und dann zu Today, der Toni lautlos
beobachtete. Er wischte sich rasch eine Träne fort, die in seinen Wimpern hing.
Toni fuhr fort: »Seien Sie also nicht
überrascht, wenn Sie einen Brief mit der Bitte um eine Spende von uns
erhalten.«
Vereinzelt war ein Lachen zu hören.
Toni machte ein paar abschließende Bemerkungen und ging dann zurück zu ihrem
Platz neben der weinenden Iris. Toni ergriff ihre Hand und drückte sie.
Der Pastor sprach noch ein paar Worte.
Dann wurden einige Gebete gesprochen, Musik gespielt und wieder Gebete
gesprochen. Schließlich war der Zeitpunkt gekommen, um zum Leichnam zu gehen.
Iris wollte nicht, zwang sich aber.
Sie sah hinunter auf Bridgets Leichnam. Was haben die nur mit dir gemacht,
sagte Iris in Gedanken zu Bridget. Du hast fast nie Make-up getragen, und die
haben dich angemalt wie eine Nutte vom Hollywood Boulevard. Du hast deine Haare
immer unfrisiert und offen getragen, und die haben Locken hineingedreht, sie
toupiert und mit Haarspray fixiert. Und dieses Kleid! All diese Rüschen und
Spitzen! Bridget, du würdest lieber sterben, als dieses Kleid tragen zu müssen. Iris kicherte über die Ironie ihres Gedanken. Sie malte sich aus, was Bridget
geantwortet hätte. Aber Iris, ich bin gestorben und trage dieses Kleid bis
in alle Ewigkeit. Iris lachte laut auf, woraufhin die Leute neben ihr kurz
aufhörten zu weinen, um sie schief von der Seite anzusehen.
Reiß dich zusammen, Mädchen, rief Iris sich
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