Das Erbe der Phaetonen
Röhre
Das Raumschiff flog den Bergen entgegen. Dort mußte sich, wenn Konstantin Jewgenjewitsch Belopolski die „Zeichnungen“ der Venusbewohner richtig gedeutet hatte, der See befinden, für den sich die Expedition interessieren sollte. Die Venusianer anders zu verstehen war unmöglich. Sie hatten wiederholt ein- deutig auf diesen See hingewiesen und ihre Gäste nachdrücklich „eingeladen“, ihn aufzusuchen. '
Was mochte es dort geben? In wenigen Stunden würde es sich herausstellen.
Endlich tauchte die Gebirgskette auf. Ihre Gipfel waren von einer dichten Wolkendecke verhüllt.
Das Raumschiff stieg bis zur unteren Grenze der Wolken empor. Von hier, aus einer Hohe von anderthalb Kilometern, war der See leichter zu entdecken, wenn er wirklich existierte.
„Da ist er!“ sagte Belopolski.
Hoch in den Bergen dehnte sich ein riesiger See, ähnlich dem Goktscha * . Er war fast kreisrund und hatte einen Durchmesser von etwa acht Kilometern. Und ebenso wie dem Goktscha die Sanga entströmte auch diesem See ein Fluß.
Beim Näherkommen stellten die Astronauten fest, daß die Ufer günstige Landeplätze besaßen. Im Osten und Süden war der See von Wald umgeben, davor aber lagen große Lichtungen, die, so weit man von oben sehen konnte, mit genau solchem gelbbraunen Gras bewachsen waren, wie sie es am Wehr vor- gefunden hatten.
„Das ist prächtig“, sagte Belopolski. „Auf dem Wasser möchte ich nämlich nicht gern niedergehen.“
Melnikow nickte. Zum zweitenmal mußte er das schwierige
*
Goktscha oder Sewan-See, in der Armenischen SSR, etwa 2000 m über dem Meeresspiegel.
und gefährliche Manöver vollführen, das riesige Raumschiff auf festem Boden zu landen. Angespannt starrte er auf den Bild- schirm, ohne dabei die zahlreichen Instrumente auf dem Steuer- pult außer acht zu lassen.
„Dort drüben!“ Belopolski bezeichnete die Richtung. „Da, wo der See eine kleine Bucht bildet, siehst du? Meiner Meinung nach ist das ein günstiger Landeplatz.“
Die Geschwindigkeit verringerte sich, das Raumschiff näherte sich immer mehr dem Boden.
„Eins!“ sagte Belopolski.
„Die ‚Pfoten'!“
Eine Sekunde, noch eine, und sie waren gelandet.
Wie schon beim erstenmal lief alles mit automatischer Präzi- sion ab.
„Was mag uns hier erwarten!“ sagte Melnikow nachdenklich.
In der Bucht war es ruhig, aber draußen auf dem See riß der Wind an den Wellenkämmen und zerfetzte sie zu weißem Gischt, der im Feldstecher deutlich zu erkennen war. Etwa drei- hundert Meter von ihnen entfernt begann der Wald, der aus Bäumen bestand, wie sie sie noch nicht gesehen hatten; sie waren kleiner als die an den Stromschnellen. Ungefähr einen Kilometer hinter ihnen ragten die Berge steil auf. Das Gras am Ufer war dicht und halbmannshoch.
Der sturmgepeitschte See, über dem niedrig die Wolken hin- gen, machte einen wilden und unfreundlichen Eindruck.
„Da unten war es irgendwie gemütlicher“, bemerkte Knjasew.
Eine von Melnikow und Korzewski durchgeführte Erkun- dung ergab, daß der Boden unter dem dichten Gras trocken und fest war.
„Konstantin Wassiljewitsch“, sagte Belopolski, „setzen Sie das Flugzeug zusammen. Wir müssen die Gegend von oben näher untersuchen.“
„Auch einen Hangar sollten wir wieder bauen“, antwortete Saizew. „Es ist Tag, da wird es tüchtig gewittern.“
Und wie zur Bestätigung seiner Worte zog eine mächtige Ge- witterwolke über dem See herauf. Dieser Landeplatz lag höher, näher den Wolken als der erste, und infolgedessen war auch das Gewitter hier heftiger als in der Ebene.
Auf das erste Gewitter folgte ein zweites, dann ein drittes und ein viertes.
Zwei Tage lang konnten die Astronauten das Raumschiff nicht verlassen. Es war, als gäben sich sämtliche Gewitterfronten der Venus ein Stelldichein.
Endlich, am 6. August, klarte der Himmel etwas auf.
Belopolski entschloß sich, den Wald in Augenschein zu neh- men. An der Exkursion nahmen Korzewski und Wtorow teil.
Die Vermutung des Biologen, daß die Venusianer am Tage schliefen, war zwar offenbar richtig; dennoch wurde beschlossen, den größten Geländewagen zu benutzen. Nur der anscheinend dichte Wald stimmte die Männer bedenklich, da sie nicht wuß- ten, ob es dort Schneisen gab und ob das große Fahrzeug über- haupt würde
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