Das Erbe der Phaetonen
viertenmal.
Gleich darauf verschwand die gelbgraue Wand. Vor ihren Augen tat sich wieder die unendliche Sternenwelt auf, und einen Meter vor sich erblickten sie, hell angestrahlt, einen Menschen im Raumanzug. Unter dem durchsichtigen Helm erkannten sie Knjasews Gesicht.
„Sascha!“
Wtorow stürzte vorwärts, als wollte er den Freund umarmen.
„Er sieht uns nicht“, sagte Melnikow. „Du vergißt, daß die Wände des Raumschiffs nur einseitig durchsichtig sind.“
Tatsächlich zeigte das Gesicht des jungen Mechanikers keine Spur von Freude. Er schien sie zwar anzusehen, klopfte aber immer wieder dieselbe Frage: „Seid ihr am Leben? Antwortet!“
Nicht ein eigens ihretwegen von der Erde ausgeschicktes Raumschiff, sondern die „SSSR-KS 3“ hatte ihnen also Hilfe gebracht. Wie war das möglich?
Melnikow und Wtorow wandten den Kopf fast gleichzeitig in jene Richtung, aus der das grelle Scheinwerferlicht herüber- strahlte.
Ganz nahe, gleichsam eng an den äußersten Ring des „Phae- tonen“ gepreßt, erblickten sie den riesenhaften Rumpf der „SSSR-KS 3“ als dunklen, die Sterne verdeckenden Schatten. Hinter den Fenstern des erleuchteten Observatoriums erkannte man die Gesichter mehrerer Männer, die Knjasew augenschein- lich beobachteten.
Die ungestüme Aufregung, die sich der beiden Gefangenen der Phaetonen bemächtigt hatte, wich ruhiger Freude – jetzt hatten alle Qualen ein Ende.
Das Raumschiff der Phaetonen ist gerettet, dachte Melnikow.
„Antworte!“ befahl er Wtorow mit gewohntem Gleichmut. „Antworte, sonst wechselt er zu einer anderen Stelle.“
Antworten! Knjasew war ganz nahe. Zwischen ihm und der Wandung des Raumschiffs lagen nur wenige Zentimeter, aber das waren Zentimeter luftleeren Raums. Selbst wenn man mit Kanonen schösse, würde er nichts hören.
Melnikow schien Wtorows Gedanken zu erraten.
„Siehst du denn nicht, daß Sascha die Hand an der Wand hat?“ sagte er. „Er wird die Geräusche spüren. Das genügt vollauf.“
„Womit soll ich denn klopfen?“
Melnikow holte seine Pistole hervor.
„Hiermit.“
Wtorow kannte die Morsezeichen recht gut.
„Wir leben“, klopfte er. Schon beim ersten Schlag sahen sie Knjasew zusammenzucken – er „hörte“. „Wir leben und sind gesund. Wir sehen dich. Habt Dank, liebe Freunde.“
Knjasew wandte den Kopf ein wenig. Seine Lippen bewegten '| sich, er sprach mit der „SSSR-KS 3“.
„Kann man zu euch reinkommen?“ Die schnelle Folge der Klopfzeichen verriet die Aufregung des jungen Kosmonauten.
Melnikow überlegte.
Die Tür der zentralen Kugel ließ sich von außen öffnen. Natürlich würde dabei alle Luft aus ihr entweichen. Ob sie sich erneuerte, wenn der Eingang wieder geschlossen war? Auf jeden Fall jedoch würde sich die Kugel mit Luft aus dem Innern des Raumschiffs füllen, sobald man die Tür zur radialen Röhre öffnete. Es schien also keine Gefahr zu bestehen.
Er selbst morste:
„Ja.“
„Paitschadse und Andrejew kommen gerade“, erfolgte rasch die Antwort. „Habt noch ein wenig Geduld. Andrejew bringt Wasser mit.“
Wasser!
Ganz plötzlich verspürten sie heftigen Durst. Ihre Kehlen schienen wie ausgedörrt, und die wenigen Minuten, die sie warten mußten, dünkten ihnen unerträglich lang.
Weshalb hatten sie bisher den Durst nicht so quälend emp- funden?
Wasser! Welch herrliches Getränk!
Sie sahen, wie durch die rechteckige Tür der Luftschleuse trübes Licht aus dem dunklen Leib der „SSSR-KS 3“ fiel. Zwei Gestalten kamen heraus und näherten sich rasch im Licht des Scheinwerfers. Ein grünlicher Gasstrahl bezeichnete ihren Weg. Im luftleeren Raum pflegten sich die Kosmonauten mit Hilfe des Ruckstoßes von Gaspistolen vorwärts zu bewegen.
Wtorow sah das phantastische Schauspiel zum erstenmal in seinem Leben. Die beiden Raumschiffe rasten nach wie vor mit kaum vorstellbarer Geschwindigkeit dahin. Zwischen ihnen aber bewegten sich frei und ungesichert, ohne zurückzubleiben, drei Menschen in großen, unförmigen Raumanzügen.
Wtorow kannte natürlich das eiserne Gesetz der Trägheit. Er hätte jedem erschöpfend darüber Auskunft geben können, wie es sich auswirkt und weshalb Menschen, die sich von ihrem Raumschiff gelöst haben, dennoch mit ihm weiterfliegen.
Aber es ist ein großer Unterschied,
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