Das Erbe der Pilgerin
oder?«
Rüdiger blickte Geneviève skeptisch an. Das schwarze Kleid hätte durchaus Teil eines Habits sein können, aber eine so strahlend lebendige und wutsprühende Ordensfrau hätte er auch unter den temperamentvollen Südfranzosen nicht vermutet.
Geneviève blitzte die Männer nun beide an. »Ich bin eine Initiierte. Ich werde Parfaite sein, ich …«
Rüdiger sah zu ihr herab und konnte nicht verhindern, dass auf seinem Gesicht ein Lächeln aufging. Jene Art von Lächeln, die Hansi neuerdings auf den Lippen hatte, sobald er Esclarmonde ansah, und das Dietmar auch noch nach fast fünf Jahren bei jedem Gedanken an Sophia zeigte.
»Ihr seid schon perfekt, meine Herrin!«, sagte er sanft. »Und wenn Ihr mir erlaubt, Euch wiederzusehen, so will ich Euch gern davon überzeugen.«
Kapitel 4
I m Burghof des Château Narbonnais herrschte reges Treiben. Der Graf von Foix sammelte ein Kontingent junger Ritter, um das Tor von Montoulieu gegen den anrückenden Guy de Montfort zu sichern. Trotz aller Bemühungen der Bevölkerung war die Stadtmauer hier noch nicht vollständig wiederhergestellt, und es galt nun, zunächst einen Einbruch der Kreuzfahrer zu verhindern und danach die Arbeiter zu schützen, die das Tor erneuerten.
Dietmar ließ sich eben von zwei Knappen auf sein Pferd helfen und beobachtete dann belustigt, wie Hansi mit hochrotem Kopf einen schlichten Strickgürtel von der kleinen Esclarmonde als Zeichen entgegennahm. Das Mädchen errötete dabei noch mehr und schien nicht zu wissen, wo es hinsehen sollte.
»Warum wollt Ihr es denn gerade von mir?«, fragte Esclarmonde unsicher. »Und geht das überhaupt? Es ist doch nur ein alter Strick, müsste ein Zeichen … müsste eine Dame nicht Seidenhemden tragen und Wollkleider, und das Tüchlein, das sie Euch gibt, müsste nach Rosen duften?«
Hansi schenkte dem jungen Mädchen einen Blick voller Liebe und Bewunderung.
»Meine … hm … Herrin …«
Dietmar musste sich das Lachen verkneifen. Hansi hatte sich noch nie in der Kunst der höfischen Rede versucht, und allzu leicht schien es ihm nicht zu fallen.
»Wenn Ihr es am … Körper getragen habt, so wird das gröbste … Leinen zu Seide und Samt. Für den tumben Tor mag dies nur ein alter Strick sein, aber für mich ist es das … äh … die … süßeste Fessel.«
Esclarmonde strahlte über ihr ganzes kleines gebräuntes Gesicht. Sie trug inzwischen kein Bauerngewand mehr, Miriam hatte dafür gesorgt, dass eins der jüngeren Mädchen ihr ein schlichtes Hauskleid überließ. Esclarmonde war sicher sechzehn oder siebzehn Jahre alt, aber klein und zierlich wie eine Fee.
»Sie ist ein Dschinn …«, grinste Abram, der Hansis Werbungsversuche ebenfalls fasziniert beobachtete, »… wie die Mauren sagen würden.«
Auch er würde sich den Rittern als Kämpfer anschließen, wobei er in seiner maurischen Verkleidung und mit dem Krummschwert exotisch wirkte. Im Kampf war er allerdings nicht zu unterschätzen. Der Kaufmannssohn war schon während seiner Kindheit an der Waffe ausgebildet worden – für Juden war dies zwar illegal, aber Fernhandelskaufleute hielten sich nicht daran. Schließlich waren sie auf ihren Reisen allen möglichen Gefahren ausgesetzt und dachten gar nicht daran, sich dem ungeschützt zu stellen. Während sich die meisten allerdings nur ungern dem Schwertkampf widmeten, hatte der abenteuerlustige Abram immer mehr Gefallen am Reiten und Fechten gefunden denn am Rechnen und Fremdsprachenstudium. Er sprach nur jämmerlich schlecht Hebräisch – aber dafür beherrschte er sein Pferd und alle möglichen Waffenvarianten, vom schweren Beidhänder bis hin zum eleganten Krummschwert.
»Und wie ein Dschinn hat sie wohl auch deinen Ritter Jean verzaubert.« Abram hielt seine wendige Stute neben Rüdigers Streithengst. »Weiß er, dass er seiner Titel und seines Ranges verlustig gehen kann, wenn er ein Mädchen aus dem Volk heiratet?«
Rüdiger zuckte die Achseln. Er zeigte wenig Interesse an seinem alten Waffengefährten, da er seinerseits eine junge Frau mit den Augen verfolgte. Die schwarzhaarige, glutäugige Geneviève beaufsichtigte ein paar aufgeregte junge Burgfräulein, die eben mit hochroten Köpfen ihre Lieblinge unter den Rittern verabschiedeten.
»Eher nicht«, antwortete Rüdiger dann aber doch. »Wobei’s ihm wahrscheinlich egal wäre. So wie er sie anschaut … Aber ich sehe da auch gar nicht so schwarz. Der König von Frankreich verdankt dem Mann sein Leben. So schnell nimmt
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