Das Erbe der Pilgerin
besiedelt. Ursprünglich hatten hier vielleicht Bauernhäuser gestanden, aber dann hatte man die Stadtmauer hochgezogen, und auch Knechte und Landarbeiter hatten ihre Hütten entlang der engen Wege gebaut. Vor der Mauer erstreckten sich Äcker und Gemüsegärten – die würden den Kämpfen jetzt jedoch sicher zum Opfer fallen.
Und sie kamen keine Stunde zu spät! Die Arbeiter, die fieberhaft mit der Rekonstruktion der Mauer beschäftigt waren, wiesen aufgeregt auf eine Staubwolke. Guy de Montfort näherte sich mit seinen Rittern von den Bergen her.
»Lasst sie noch ein bisschen näher heran!«, befahl Flambert, während die Ritter eine Linie bildeten. »Der Graf von Foix muss gleich mit den anderen Reitern und den Fußsoldaten da sein. Wir brauchen sie im Hintergrund – und sie sollten nicht zu weit aus der Stadt herausmüssen, um uns zu unterstützen.«
Die Strategie war durchdacht, das musste Dietmar zugeben. Die Phalanx der Ritter würde gegen eine ebenso oder ähnlich aufgestellte Reihe von anderen Kämpfern zu Pferde anreiten und versuchen, so viele wie möglich gleich zu Boden zu bringen. Nach diesem ersten Lanzenangriff war es allerdings nicht leicht möglich, die Pferde anzuhalten und zu wenden, die meisten Streithengste waren wie im Rausch, wenn sie auf den Gegner zugaloppierten. Nach Flamberts Plan würden Montforts auf dem Pferd verbliebene Streiter von der zweiten Welle Ritter und einer Vielzahl von Fußsoldaten aufgefangen werden, während die erste Angriffswelle viel Platz hatte, die Pferde zu wenden und den Angreifern dann in den Rücken zu fallen.
Kaltblütig warteten die Ritter, bis Flambert den Befehl zum Angriff gab – und dann fand sich Dietmar unversehens neben seinem Rivalen wieder. Flamberts Brauner jagte wie von Furien gehetzt neben seinem Gawain her. Dietmar revidierte seinen Eindruck. Der Mann mochte ein Schönling sein, aber er war auch ein starker Kämpfer. Sein hochbeiniger Hengst schob sich jetzt vor Gawain, und Flambert fixierte seinen ersten Gegner. Dietmar sah aus dem Augenwinkel, wie seine Lanze traf – und gleich darauf am Brustpanzer des Gegners zerschellte! Nun kam so etwas vor, mitunter barst der Schaft einer Lanze beim Aufprall, das war pures Pech. Aber in diesem Fall sah es besonders schlimm für Flambert aus. Sein Gegner war ein kleiner Mann, der die Lanze weiter vorn am Schaft führte, um mit mehr Kraft zustoßen zu können. Er erreichte Flambert also später und hatte vor dem Aufprall Zeit, sich nach dessen Stoß wieder zu fangen und sehr viel besser zu zielen als zuvor, Flambert war schließlich nahezu hilflos.
Dietmar überlegte nicht lange. Instinktiv verlagerte er sein Gewicht, Gawain ließ seinen eigenen Gegner vorbeigehen und schwenkte auf Flamberts Gegenüber zu. Der Ritter, der nur Flambert fixierte, wusste kaum, wie ihm geschah, als Dietmar seine Lanze wie einen Hebel ansetzte und ihn damit vom Pferd hob. Er stürzte zu Boden.
Flambert warf Dietmar einen dankbaren Blick zu, als sie beide ihre Pferde nebeneinander wendeten und dabei die Schwerter zogen. Gemeinsam mit den Fußtruppen machten sie sich daran, die gestürzten Ritter niederzumachen oder gefangen zu nehmen. Es war bereits abzusehen, dass ihr Ausfall erfolgreich gewesen war. Montforts erster Angriff war abgeschlagen.
Schließlich sammelten sich die Ritter und erfassten ihre Verluste. Gefallen waren nur einige der Fußsoldaten, Verletzte gab es kaum. Dagegen lagen von den feindlichen Kämpfern einige am Boden, tot, verwundet oder einfach nur resigniert wartend auf ihre Gefangennahme. Die Unverletzten hatten sich zurückgezogen.
Auf dem Rückweg in die Stadt, bejubelt von den begeisterten Bürgern, setzte Flambert seinen Braunen neben Gawain. »Ich danke Euch«, sagte Flambert schlicht. »Ich schulde Euch etwas.«
Mehr als du glaubst, dachte Dietmar, aber er nickte seinem Kampfgefährten nur gelassen zu. »Ihr hättet das auch für mich getan.«
Einen Tag später sollte Flamberts Dankbarkeit Dietmar allerdings in eine schwierige Lage bringen. Guy de Montfort hatte kein zweites Mal angegriffen, anscheinend wartete er auf seinen Bruder. Solange hatte Toulouse jedoch Zeit, seine Mauer weiter instand zu bringen und seinen ersten Sieg zu feiern. Graf Raymond lud zum Bankett und bat Miriam, auch die Mädchen dazuzuholen. Miriam stand wieder mal hoch in seiner Gunst, nachdem sie den Angriff Montforts und den Erfolg der abwehrenden Ritter richtig vorausgesagt hatte. Nun war das nicht schwierig gewesen,
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