Das Erbe der Pilgerin
Stellung in Toulouse ein … wenig delikat werden dürfte?«
»Delikat?«, fragte Dietmar verwirrt. »Wieso das denn? Ich bin ein Ritter wie alle anderen auch. Der Graf sollte sich über jeden freuen, der ihm zuläuft.«
Der Medikus nickte. »Sicher. Aber Ihr … nun ja, wenn ich Abram und Miriam richtig verstanden habe, dann ist Sophia am Hofe des Grafen, weil Raymond und Roland enge Freunde waren.«
»Stimmt, sie steckten schon in Mainz dauernd zusammen«, bestätigte Dietmar. »Und?«
»Na ja, Ihr habt Roland besiegt. Und die Nachricht ist bis hierher sicher noch nicht gedrungen, der Graf wird es also von uns erfahren.«
»Ihr meint, er wird erbost sein«, meinte Dietmar. »Da kann ich ihm nicht helfen, ich besiegte Roland in ritterlichem Kampf. Daran war nichts Unehrenhaftes und nichts Geheimes. Der Graf wird das doch nicht persönlich nehmen.«
»Aber er wird auch nicht gerade darauf brennen, Euch mit seinem Mündel zu verheiraten – zumal er davon ausgehen wird, dass Ihr es wart, der Roland tötete. Und denkt auch einmal an Sophia. Gehen wir mal davon aus, sie freut sich, Euch wiederzusehen. Aber Ihr seid nicht mehr einfach der Ritter, in den sie sich verliebt hat. Sie wird glauben, Ihr wäret der Mann, der ihren Vater auf dem Gewissen hat.«
»Nachdem er den meinen erstochen hat!«, fuhr Dietmar auf.
Salomon schüttelte verwundert den Kopf. »Wer hat Euch denn das erzählt? Dietmar, Roland hat Euren Vater nicht getötet. Er hatte daran natürlich Anteil, aber Dietrich starb am Lungenbrand.«
»Nicht Dietrich«, mischte sich Rüdiger ein. »Florís. Dietmar spricht von seinem Pflegevater. Florís de Trillon starb durch Rolands Hand.«
Salomon spürte, dass alle Farbe aus seinem Gesicht wich. Er schwankte im Sattel und hoffte, dass es keinem der jungen Ritter auffiel. »Florís … Florís ist tot?«
Rüdiger beachtete ihn jedoch kaum, sondern wandte sich seinem Neffen zu. »Dietmar«, führte er die Rede des Medikus weiter aus. »Was Herr … G´eroˆme meint, ist, dass du dich etwas zurückhalten solltest auf der Burg von Toulouse. Kümmere dich um die Katapulte, halte dich an Miriam und Herrn Salomon. Mit dem Grafen rede ich – und vielleicht auch mit Sophia. Sie wird etwas Zeit brauchen, um über die Sache mit Lauenstein hinwegzukommen. Die sollten wir ihr geben.«
Dietmar nickte, wenn auch unwillig. »Aber nicht zu viel!«, meinte er. »Alles in mir brennt darauf, sie zu sehen. Und sie … egal was die Leute sagen. Ich bin überzeugt, es geht ihr genauso.«
Sophia war überrascht und ängstlich, als der Graf von Toulouse sie einige Tage nach ihrer Ankunft zu sich rufen ließ. Inzwischen redete der gesamte Palast über Raymond und Geneviève, und obwohl Geneviève selbst nichts erzählt hatte, reimte Sophia sich die Geschichte doch in groben Zügen zusammen. Irgendetwas war gewesen zwischen ihrer Freundin und dem Grafen – und es schien nicht ganz mit Genevièves Zustimmung passiert zu sein. Was, wenn Raymond sich jetzt für Sophia interessierte? Der Graf war als Weiberheld bekannt, und solange seine Frau noch in England war, gab es niemanden, der die Mädchen vor ihm schützen konnte. Sophia kleidete sich also so schlicht wie möglich in eine braune Surcotte, die sie sonst nur zur Gartenarbeit trug, und überlegte sich schon mal, wie sie den Grafen möglichst diplomatisch abweisen konnte.
Als sie dann Raymonds Räume betrat, war sie überrascht. Auf einer schlichten Bank, eine der wenigen Sitzgelegenheiten, hatten bereits die Maurin und ihr Ehemann Platz genommen. Die Herrin Ayesha legte stets größten Wert darauf, nicht mit dem Grafen allein zu sein.
»Komm herein, Sophia, Kind, setz dich.«
Der Graf hatte Sophia persönlich geöffnet und wies ihr nun einen harten Schemel an. Das Château hatte unter der Eroberung gelitten, ebenso die Einrichtung der gräflichen Kemenate. Simon de Montfort hatte nach der Schlacht von Muret an Geldmangel gelitten und Toulouse rücksichtslos geplündert. Die behaglichen Möbel und Teppiche aus dem Palast hatte er entwendet – zweifellos auch die aus den Häusern der vermögenden Bürger. Monfort hatte Toulouse zu einer Ausgleichszahlung von dreißigtausend Goldstücken verurteilt und das Geld mit aller Härte eingetrieben.
Sophia nahm befangen Platz, während der Graf unruhig im Raum umherging.
»Sophia, ich muss dir eine betrübliche Mitteilung machen«, sagte er schließlich – nachdem die Maurin dem Mädchen einen Becher Würzwein gereicht hatte.
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