Das Erbe der Pilgerin
»Vielleicht trinkst du zuerst einen Schluck, das wird … vielleicht wird es dich stärken.«
Sophia griff unsicher zum Becher.
»Nun spannt das Kind nicht auf die Folter«, mahnte die Maurin den zaudernden Grafen. »Ich weiß, es ist Euch auch leid, aber sie muss es doch erfahren.«
Der Graf straffte sich und nahm seinerseits einen raschen Schluck. »Sophia, die Burg deiner Eltern wurde erobert«, eröffnete er ihr dann kurz. »Dietmar von Ornemünde hat sie eineinhalb Jahre lang belagert, dein Vater fiel von seiner Hand. Die Lauensteiner Ornemünder haben die Burg wieder in Besitz genommen.«
Sophia erblasste. »Vater ist … Dietmar hat … Dietmar? Dietmar hat meinen Vater getötet?«
»Im ritterlichen Kampf«, erklärte die Maurin.
Der Graf nickte widerwillig. Er schien sich das kaum vorstellen zu können. »Angeblich hat dein Vater ihn herausgefordert«, präzisierte er.
Sophia atmete schwer. »Aber Dietmar …«, flüsterte sie.
»Es war naheliegend, dass es sich irgendwann durch einen Zweikampf entscheidet«, meinte der Graf. »Ich hätte nur nicht gedacht, dass es so … dass es so ausgeht.« Er wischte sich kurz mit seiner behandschuhten Hand über die Augen.
Sophia schluckte. Dann nahm sie sich zusammen.
»Was ist mit meiner Mutter?«, erkundigte sie sich.
Der Graf zuckte die Achseln. »Nach Angaben des Herrn von Falkenberg hat sie zumindest vorläufig ihren Witwensitz auf Lauenstein genommen«, sagte er. »Was ungewöhnlich ist, und sehr … nun ja, sehr huldreich von Seiten des Herrn Dietmar. Es ist nicht gerade üblich, dass man …«
»Ich bin sicher, Herr Dietmar hätte sich einen unblutigen Ausgang der Angelegenheit gewünscht«, meinte Miriam.
Sie sah forschend und mitleidig in Sophias blasses Gesicht, das ihre Empfindungen nur zu genau widerspiegelte. Das junge Mädchen hatte Dietmar mit seinem Zeichen in den Kampf geschickt. Und nun war sein Vater gestorben.
»Das war uns … ihm … wohl nicht vergönnt«, flüsterte Sophia und blickte auf ihre Hände, die sie inzwischen in ihren Schoß hatte sinken lassen. »Ich … ich danke Euch für die Nachricht, Herr Raymond. Was … was wird nun aus mir?«
Der Graf biss sich auf die Lippen und nahm seine Wanderung durch den Raum wieder auf.
»Kind … ich denke, es wäre das Beste, dich bald zu verheiraten«, meinte er unglücklich. »Alt genug bist du ja. Wobei es mit einer Mitgift eher hapern dürfte. Aber ich denke … wenn ich mich nicht irre, ist der Herr Flambert de Montalban doch ganz vernarrt in dich.«
Sophia errötete jetzt. »Aber Herr Flambert …«
Sie wusste nicht, was sie sagen und was sie denken sollte. Vor ihrem inneren Auge stand nur Dietmar. Sie sah die Kämpfe in Mainz, bei denen sie aufgeregt mitgefiebert hatte, den triumphierenden Blick des jungen Ritters, wenn sein Gegner vor ihm im Staub gelegen hatte. Hatte er auch so ausgesehen, als er mit blutigem Schwert über dem Leichnam ihres Vaters stand?
»Flambert ist Albigenser, natürlich. Ich verstehe, was du meinst«, nickte der Graf. »Aber ich würde natürlich zur Bedingung machen, dass er zum wahren Glauben zurückfindet. Damit käme auch die Festung Montalban wieder in rechtgläubige Hände, was mir mehr als lieb wäre, sosehr ich Herrn Pierre schätze. Wie ist es, Sophia? Soll ich mit dem Ritter sprechen?«
Sophia hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
»Nun lasst das Mädchen doch erst mal zur Ruhe kommen«, begütigte die Maurin. Sophia warf ihr einen dankbaren Blick zu. »Sie hat ihren Vater und ihr Zuhause verloren, und jetzt soll sie sich von einem Herzschlag zum anderen für einen Gatten entscheiden? Das geht zu schnell.«
Miriam stand auf, ging zu Sophia und legte den Arm um sie. »Braucht Ihr mich noch, Herr?«, fragte sie den Grafen. »Sonst bringe ich sie in ihre Kemenate und bereite ihr einen Schlaftrunk. Morgen kann sie dann über Euer großmütiges Angebot mit Herrn Flambert nachdenken.«
»Und der Graf sollte noch mal darüber nachdenken, ob er Flambert wirklich die Konvertierung nahelegen will«, meinte Abram, als sie schließlich mit Sophia auf den Wehrgang traten. »Ich schätze, Geneviève kann gefährlicher werden als alle Montalbans vor unseren Pforten.«
Die Menschen in Toulouse hatten soeben erfahren, dass Guy de Montfort, Simons Bruder, sich der Stadt mit einigen Rittern näherte. Der Graf von Foix, ein alter Waffengefährte Raymonds, sammelte eben Verteidiger an den noch nicht ausreichend wieder aufgebauten
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