Das Erbe der Pilgerin
kniete er noch lange genug bewegungslos auf der harten Kirchenbank. Außerdem … Rüdiger traute es seinem findigen Knappen Hansi zu, noch rasch etwas zu essen aufzutreiben. Tatsächlich fand er Hansi vor einer Garküche – im Gespräch mit einem höchst seltsam gekleideten Herrn. Dieser trug zu festen Reitstiefeln weite Leinenhosen und darüber ein langes kostbares Gewand aus Brokat, vorn offen und fremdländisch geschnitten. Erst auf den zweiten Blick erkannte man die dezent eingewebten Sternbilder und Sonnen. Den Kopf des Mannes zierte eine Art Kappe, ebenfalls aus Brokatstoff und mit Goldfäden durchwebt. Ein Jude? Aber nein, die würden Reichtum nicht so offen zur Schau tragen!
Aber dann blickte Rüdiger in das helle Gesicht unter dem ungewöhnlichen Kopfschmuck. Runde, wache Augen von unschuldigem Blau, das Gesicht schmal, was ihm einen leicht erstaunten Ausdruck verlieh. Früher hatte dieses Gesicht hager gewirkt, aber jetzt war Abram von Kronach älter und besser genährt.
»Siehst, Herr Rüdiger, wen ich g’funden hab?«, fragte Hansi aufgeregt. Wenn er mit seinem Herrn allein war, legte er weder viel Wert auf Förmlichkeiten noch auf höfische Rede und verfiel in seine süddeutsche Mundart. »Erkennst ihn noch, den Judenburschen?«
»Pssst!«, Abram schüttelte den Kopf und warf Ritter und Knappe einen verschwörerischen Blick zu. »Ich nenne mich hier Abu Hamed al Moxacar, und ich bin Maure …«
Rüdiger grinste. »Der Neffe des Medikus!«, sagte er verblüfft. »Aber du bist nicht wirklich … also du betest nicht wirklich zu dem Mohrengott?«
Abram runzelte die Stirn. »Herr Rüdiger, es gibt nur einen Gott. Und der ist kein Mohr! Der Emir von Granada im Übrigen auch nicht, und er zwingt keinen dazu, seinem Glauben abzuschwören. Es gibt da allerdings Steuervorteile, wenn man … Aber so weit hätte ich mich selbstverständlich nie erniedrigt. Wenngleich es Situationen gibt, im Leben …«
Rüdiger winkte ab. »Geschenkt, Herr Abu Hamed, ich habe dich auch schon als Christ erlebt. Aber was um Himmels willen machst du hier? Ich dachte, du seist sicher in Al Andalus, mit deiner Miriam!«
Abram nickte gewichtig. »Meine Gattin Ayesha Mariam al Moxacar dient auf Geheiß des Emirs als Hofastrologin des Grafen von Toulouse«, erklärte er. »Wobei wir das eigentlich höchstens drei Jahre lang machen wollten. Aber inzwischen … Miri kann da nicht so ohne Weiteres weg. Sie fühlt sich verantwortlich …«
Rüdiger zog die Stirn kraus und nahm verstohlen einen Bissen von dem Bratenstück auf frisch gebackenem Gerstenbrot, das Hansi inzwischen in Empfang genommen hatte. Der Knappe brauchte nicht zur Messe, es gab kaum genug Plätze für all die adligen und geistlichen Würdenträger. Also konnte er sich hier unbesorgt den Bauch vollschlagen. Nun ließ er wachsam den Blick über den Domplatz gleiten und schob Rüdiger sein Frühstück zu, wenn gerade kein Geistlicher oder Ritter hinsah.
»Für den Grafen von Toulouse?«, fragte er dabei mit vollem Mund. »Kann der nicht auf sich selbst aufpassen?«
Raymond de Toulouse war als Haudegen bekannt und hatte schon etliche Kämpfe und Belagerungen für sich entschieden – wobei er tatsächlich bereits zweimal mit einem Kirchenbann belegt worden war.
»Für die Albigenser«, führte Abram aus. »Du weißt schon, diese komischen Christen da im Languedoc. Die alles irgendwie anders machen als die anderen Christen …«
»Häretiker!«, erklärte Rüdiger streng.
Abram zuckte die Achseln. »Verrückte!«, urteilte er. »Die sind so keusch und friedfertig, dass sie ständig Gefahr laufen, auszusterben oder zu verhungern. Sie essen kein Fleisch und trinken keine Milch, Wein sowieso nicht. Und möglichst liegen sie nicht mal ihren Ehegatten bei. An sich dürfen sie nur beten und arbeiten. Aber sie sind von Grund auf harmlos! Es gibt nicht den geringsten Grund, einen Kreuzzug gegen sie zu führen.«
»Der Papst hat dennoch dazu aufgerufen«, sagte Rüdiger. »Also muss es Gründe geben!«
Abram verdrehte die Augen. »Denk mal nach«, meinte er dann. »Wenn jemand nur betet und arbeitet, aber nie was von dem erwirtschafteten Geld ausgibt …«
»… dann wird er reich!«, schloss Hansi und schlang den Rest des Fleischbrotes herunter. Er war nicht von Adel, sondern Sohn eines Räubers und Diebs – der Kirche brachte er keinen besonderen Respekt entgegen. »Auch wenn er nichts davon hat.«
Abram nickte. »Richtig«, erklärte er. »Und was passiert mit dem
Weitere Kostenlose Bücher